Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.1. Buch. 1. Tit. ben, diesen Trieben zu folgen, ein gleiches Vermögen,secundum naturam vivendi, aber auch denen Thieren angebohren sey, so erzeugte sich auf solche Art die von Ulpian angenommene Idee eines den Menschen mit den Thieren gemeinschaftlichen Naturrechts 39). Von die- sem unterschied man das denen Menschen eigne Natur- recht, welches man ius gentium nannte. Hierunter ver- stehen die alten Römischen Juristen dasienige Recht, was nur allein Menschen, jedoch alle Menschen, mit einander gemein haben, und welches ihnen die allen ge- meine Vernunft lehrt. Gentes heissen hier nicht Na- tionen, Völker, wie es Brisson erklärt 40), sondern überhaupt Menschen. Es wird dies Wort hier in eben der Bedeutung genommen, wie bey denen Franzo- sen das Wort gens. Ius gentium ist also nicht durch Völkerrecht, sondern durch Menschen-Recht zu über- setzen, wie aus dem Folgenden erhellen wird. Gajus L. 9. D. b. t. sagt: Quod naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes peraeque custoditur: vocaturque ius gentium, quasi quo iure omnes gentes utuntur. Hiermit stimmt auch Ulpian in der oben angeführten Stelle §. 4. überein, wenn er sagt, hoc (sc. Ius gentium) solis hominibus inter se coin- mune est; und Pompon L. 2. h. t. rechnet dahin Got- tesverehrung, Gehorsam gegen die Eltern, und Liebe fürs Vaterland. Florentin L. 3. h. t. fügt noch hin- zu: Vertheidigung gegen ungerechten Angrif, und über- haupt alle aufs gesellige Leben sich beziehende Menschen- pflichten; z. B. daß kein Mensch dem andern nach seinem Leben oder Gut trachte. Weil nun dieses sogenannte Ius 39) Vergleiche noch Christ. Henr. eckhardi Hermenev- tic. iuris Lib. I. Cap. IV. §. 132. und Car. Frid. walch in den Anmerkungen S. 219. 40) de Verbor. iuris significat. v. gens.
1. Buch. 1. Tit. ben, dieſen Trieben zu folgen, ein gleiches Vermoͤgen,ſecundum naturam vivendi, aber auch denen Thieren angebohren ſey, ſo erzeugte ſich auf ſolche Art die von Ulpian angenommene Idee eines den Menſchen mit den Thieren gemeinſchaftlichen Naturrechts 39). Von die- ſem unterſchied man das denen Menſchen eigne Natur- recht, welches man ius gentium nannte. Hierunter ver- ſtehen die alten Roͤmiſchen Juriſten dasienige Recht, was nur allein Menſchen, jedoch alle Menſchen, mit einander gemein haben, und welches ihnen die allen ge- meine Vernunft lehrt. Gentes heiſſen hier nicht Na- tionen, Voͤlker, wie es Briſſon erklaͤrt 40), ſondern uͤberhaupt Menſchen. Es wird dies Wort hier in eben der Bedeutung genommen, wie bey denen Franzo- ſen das Wort gens. Ius gentium iſt alſo nicht durch Voͤlkerrecht, ſondern durch Menſchen-Recht zu uͤber- ſetzen, wie aus dem Folgenden erhellen wird. Gajus L. 9. D. b. t. ſagt: Quod naturalis ratio inter omnes homines conſtituit, id apud omnes peraeque cuſtoditur: vocaturque ius gentium, quaſi quo iure omnes gentes utuntur. Hiermit ſtimmt auch Ulpian in der oben angefuͤhrten Stelle §. 4. uͤberein, wenn er ſagt, hoc (ſc. Ius gentium) ſolis hominibus inter ſe coin- mune eſt; und Pompon L. 2. h. t. rechnet dahin Got- tesverehrung, Gehorſam gegen die Eltern, und Liebe fuͤrs Vaterland. Florentin L. 3. h. t. fuͤgt noch hin- zu: Vertheidigung gegen ungerechten Angrif, und uͤber- haupt alle aufs geſellige Leben ſich beziehende Menſchen- pflichten; z. B. daß kein Menſch dem andern nach ſeinem Leben oder Gut trachte. Weil nun dieſes ſogenannte Ius 39) Vergleiche noch Chriſt. Henr. eckhardi Hermenev- tic. iuris Lib. I. Cap. IV. §. 132. und Car. Frid. walch in den Anmerkungen S. 219. 40) de Verbor. iuris ſignificat. v. gens.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0106" n="86"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">1. Buch. 1. Tit.</hi></fw><lb/> ben, dieſen Trieben zu folgen, ein gleiches Vermoͤgen,<lb/><hi rendition="#aq">ſecundum naturam vivendi,</hi> aber auch denen Thieren<lb/> angebohren ſey, ſo erzeugte ſich auf ſolche Art die von<lb/><hi rendition="#fr">Ulpian</hi> angenommene Idee eines den Menſchen mit den<lb/> Thieren gemeinſchaftlichen Naturrechts <note place="foot" n="39)">Vergleiche noch <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Chriſt. Henr</hi>. <hi rendition="#k">eckhardi</hi><hi rendition="#g">Hermenev-<lb/> tic. iuris</hi> Lib. I. Cap. IV.</hi> §. 132. und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Car. Frid</hi>. <hi rendition="#k">walch</hi></hi><lb/> in den Anmerkungen S. 219.</note>. Von die-<lb/> ſem unterſchied man das denen Menſchen eigne Natur-<lb/> recht, welches man <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">ius gentium</hi></hi> nannte. Hierunter ver-<lb/> ſtehen die alten Roͤmiſchen Juriſten dasienige Recht,<lb/> was nur allein Menſchen, jedoch alle Menſchen, mit<lb/> einander gemein haben, und welches ihnen die allen ge-<lb/> meine Vernunft lehrt. <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Gentes</hi></hi> heiſſen hier nicht Na-<lb/> tionen, Voͤlker, wie es <hi rendition="#fr">Briſſon</hi> erklaͤrt <note place="foot" n="40)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">de Verbor. iuris ſignificat</hi>. v. <hi rendition="#k">gens</hi>.</hi></note>, ſondern<lb/> uͤberhaupt <hi rendition="#g">Menſchen</hi>. Es wird dies Wort hier in<lb/> eben der Bedeutung genommen, wie bey denen Franzo-<lb/> ſen das Wort <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">gens</hi>. Ius gentium</hi> iſt alſo nicht durch<lb/> Voͤlkerrecht, ſondern durch <hi rendition="#g">Menſchen-Recht</hi> zu uͤber-<lb/> ſetzen, wie aus dem Folgenden erhellen wird. <hi rendition="#fr">Gajus</hi><lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L</hi>. 9. <hi rendition="#i">D. b. t</hi>.</hi> ſagt: <hi rendition="#aq">Quod naturalis ratio inter<lb/><hi rendition="#i">omnes homines</hi> conſtituit, id apud omnes peraeque<lb/> cuſtoditur: vocaturque <hi rendition="#i">ius gentium</hi>, quaſi quo iure<lb/><hi rendition="#i">omnes gentes</hi> utuntur.</hi> Hiermit ſtimmt auch <hi rendition="#fr">Ulpian</hi><lb/> in der oben angefuͤhrten Stelle §. 4. uͤberein, wenn er<lb/> ſagt, <hi rendition="#aq">hoc (ſc. <hi rendition="#i">Ius gentium</hi>) ſolis <hi rendition="#i">hominibus</hi> inter ſe coin-<lb/> mune eſt;</hi> und <hi rendition="#fr">Pompon</hi> <hi rendition="#aq">L. 2. h. t.</hi> rechnet dahin Got-<lb/> tesverehrung, Gehorſam gegen die Eltern, und Liebe<lb/> fuͤrs Vaterland. <hi rendition="#fr">Florentin</hi> <hi rendition="#aq">L. 3. h. t.</hi> fuͤgt noch hin-<lb/> zu: Vertheidigung gegen ungerechten Angrif, und uͤber-<lb/> haupt alle aufs geſellige Leben ſich beziehende Menſchen-<lb/> pflichten; z. B. daß kein Menſch dem andern nach ſeinem<lb/> Leben oder Gut trachte. Weil nun dieſes ſogenannte<lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Ius</hi></hi></fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0106]
1. Buch. 1. Tit.
ben, dieſen Trieben zu folgen, ein gleiches Vermoͤgen,
ſecundum naturam vivendi, aber auch denen Thieren
angebohren ſey, ſo erzeugte ſich auf ſolche Art die von
Ulpian angenommene Idee eines den Menſchen mit den
Thieren gemeinſchaftlichen Naturrechts 39). Von die-
ſem unterſchied man das denen Menſchen eigne Natur-
recht, welches man ius gentium nannte. Hierunter ver-
ſtehen die alten Roͤmiſchen Juriſten dasienige Recht,
was nur allein Menſchen, jedoch alle Menſchen, mit
einander gemein haben, und welches ihnen die allen ge-
meine Vernunft lehrt. Gentes heiſſen hier nicht Na-
tionen, Voͤlker, wie es Briſſon erklaͤrt 40), ſondern
uͤberhaupt Menſchen. Es wird dies Wort hier in
eben der Bedeutung genommen, wie bey denen Franzo-
ſen das Wort gens. Ius gentium iſt alſo nicht durch
Voͤlkerrecht, ſondern durch Menſchen-Recht zu uͤber-
ſetzen, wie aus dem Folgenden erhellen wird. Gajus
L. 9. D. b. t. ſagt: Quod naturalis ratio inter
omnes homines conſtituit, id apud omnes peraeque
cuſtoditur: vocaturque ius gentium, quaſi quo iure
omnes gentes utuntur. Hiermit ſtimmt auch Ulpian
in der oben angefuͤhrten Stelle §. 4. uͤberein, wenn er
ſagt, hoc (ſc. Ius gentium) ſolis hominibus inter ſe coin-
mune eſt; und Pompon L. 2. h. t. rechnet dahin Got-
tesverehrung, Gehorſam gegen die Eltern, und Liebe
fuͤrs Vaterland. Florentin L. 3. h. t. fuͤgt noch hin-
zu: Vertheidigung gegen ungerechten Angrif, und uͤber-
haupt alle aufs geſellige Leben ſich beziehende Menſchen-
pflichten; z. B. daß kein Menſch dem andern nach ſeinem
Leben oder Gut trachte. Weil nun dieſes ſogenannte
Ius
39) Vergleiche noch Chriſt. Henr. eckhardi Hermenev-
tic. iuris Lib. I. Cap. IV. §. 132. und Car. Frid. walch
in den Anmerkungen S. 219.
40) de Verbor. iuris ſignificat. v. gens.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |