Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

de Legibus, Senatusconsultis et longa consuet.
gegen Ende des funfzehenden Jahrhunderts selten förm-
lich ausgefertiget. Man publicirte sie zwar, aber nur
mündlich. Daher wurden sie in der Eigenschaft der
Reichssatzungen bald unbekannt und vergessen, und nur
als ein Herkommen beybehalten und beobachtet. Ei-
ne Ursache, warum wir so wenig alte ächte Reichssa-
tzungen haben 33). Ein solches herkömmliches Recht
ist nun zwar im grammatischen Sinn ein nicht geschrie-
benes Recht, das durch den Gebrauch erhalten wird;
allein in sofern doch die ursprüngliche Bekanntmachung
desselben erwiesen werden kann, hat es die Natur eines
geschriebenen Rechts im eigentlichen oder juristischen
Sinn, und darf mithin nicht nach den Grundsätzen ei-
nes Gewohnheitsrechts beurtheilet werden. Entstehet
demnach über die Gültigkeit eines solchen Rechts ein
Zweifel, so darf nur erwiesen werden, daß die ehe-
malige ausdrückliche Kundmachung desselben
geschehen sey
; ist diese ausser Zweifel gesezt worden,
so muß die Vermuthung für die Gültigkeit eines sol-
chen Gesetzes oder Rechts so lange Statt finden, bis
das Gegentheil von dem andern dargethan wird 34).
Sollte aber die Bekanntmachung eines solchen Rechts
so ganz in Vergessenheit gerathen seyn, daß von der-
selben keine Beweise dargeleget werden könnten, so wird
es nun als ein Gewohnheitsrecht zu betrachten, und nach
den Grundsätzen, die davon gelten, zu beurtheilen seyn.

Zweitens kann das nicht geschriebene Recht ein solches seyn,
sosich ursprünglich nicht auf den ausdrücklich bekannt gemachten

Willen
33) Car. Fried. Gerstlachers Abhandlung von den Gesetzen
und Ordnungen des teutschen Reichs. 1. Band 1. Cap.
S. 16. 17.
34) Eichmann Erläuterung des bürgerlichen Rechts 1. Th.
S. 365. u. folgg.

de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
gegen Ende des funfzehenden Jahrhunderts ſelten foͤrm-
lich ausgefertiget. Man publicirte ſie zwar, aber nur
muͤndlich. Daher wurden ſie in der Eigenſchaft der
Reichsſatzungen bald unbekannt und vergeſſen, und nur
als ein Herkommen beybehalten und beobachtet. Ei-
ne Urſache, warum wir ſo wenig alte aͤchte Reichsſa-
tzungen haben 33). Ein ſolches herkoͤmmliches Recht
iſt nun zwar im grammatiſchen Sinn ein nicht geſchrie-
benes Recht, das durch den Gebrauch erhalten wird;
allein in ſofern doch die urſpruͤngliche Bekanntmachung
deſſelben erwieſen werden kann, hat es die Natur eines
geſchriebenen Rechts im eigentlichen oder juriſtiſchen
Sinn, und darf mithin nicht nach den Grundſaͤtzen ei-
nes Gewohnheitsrechts beurtheilet werden. Entſtehet
demnach uͤber die Guͤltigkeit eines ſolchen Rechts ein
Zweifel, ſo darf nur erwieſen werden, daß die ehe-
malige ausdruͤckliche Kundmachung deſſelben
geſchehen ſey
; iſt dieſe auſſer Zweifel geſezt worden,
ſo muß die Vermuthung fuͤr die Guͤltigkeit eines ſol-
chen Geſetzes oder Rechts ſo lange Statt finden, bis
das Gegentheil von dem andern dargethan wird 34).
Sollte aber die Bekanntmachung eines ſolchen Rechts
ſo ganz in Vergeſſenheit gerathen ſeyn, daß von der-
ſelben keine Beweiſe dargeleget werden koͤnnten, ſo wird
es nun als ein Gewohnheitsrecht zu betrachten, und nach
den Grundſaͤtzen, die davon gelten, zu beurtheilen ſeyn.

Zweitens kann das nicht geſchriebene Recht ein ſolches ſeyn,
ſoſich urſpruͤnglich nicht auf den ausdruͤcklich bekannt gemachten

Willen
33) Car. Fried. Gerſtlachers Abhandlung von den Geſetzen
und Ordnungen des teutſchen Reichs. 1. Band 1. Cap.
S. 16. 17.
34) Eichmann Erlaͤuterung des buͤrgerlichen Rechts 1. Th.
S. 365. u. folgg.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0449" n="429"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">de Legibus, Senatuscon&#x017F;ultis et longa con&#x017F;uet.</hi></fw><lb/>
gegen Ende des funfzehenden Jahrhunderts &#x017F;elten fo&#x0364;rm-<lb/>
lich ausgefertiget. Man publicirte &#x017F;ie zwar, aber nur<lb/>
mu&#x0364;ndlich. Daher wurden &#x017F;ie in der Eigen&#x017F;chaft der<lb/>
Reichs&#x017F;atzungen bald unbekannt und verge&#x017F;&#x017F;en, und nur<lb/>
als ein <hi rendition="#g">Herkommen</hi> beybehalten und beobachtet. Ei-<lb/>
ne Ur&#x017F;ache, warum wir &#x017F;o wenig alte a&#x0364;chte Reichs&#x017F;a-<lb/>
tzungen haben <note place="foot" n="33)">Car. Fried. Ger&#x017F;tlachers Abhandlung von den Ge&#x017F;etzen<lb/>
und Ordnungen des teut&#x017F;chen Reichs. 1. Band 1. Cap.<lb/>
S. 16. 17.</note>. Ein &#x017F;olches <hi rendition="#g">herko&#x0364;mmliches Recht</hi><lb/>
i&#x017F;t nun zwar im grammati&#x017F;chen Sinn ein nicht ge&#x017F;chrie-<lb/>
benes Recht, das durch den Gebrauch erhalten wird;<lb/>
allein in &#x017F;ofern doch die ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Bekanntmachung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben erwie&#x017F;en werden kann, hat es die Natur eines<lb/>
ge&#x017F;chriebenen Rechts im eigentlichen oder juri&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Sinn, und darf mithin nicht nach den Grund&#x017F;a&#x0364;tzen ei-<lb/>
nes Gewohnheitsrechts beurtheilet werden. Ent&#x017F;tehet<lb/>
demnach u&#x0364;ber die Gu&#x0364;ltigkeit eines &#x017F;olchen Rechts ein<lb/>
Zweifel, &#x017F;o darf nur erwie&#x017F;en werden, <hi rendition="#g">daß die ehe-<lb/>
malige ausdru&#x0364;ckliche Kundmachung de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
ge&#x017F;chehen &#x017F;ey</hi>; i&#x017F;t die&#x017F;e au&#x017F;&#x017F;er Zweifel ge&#x017F;ezt worden,<lb/>
&#x017F;o muß die Vermuthung fu&#x0364;r die Gu&#x0364;ltigkeit eines &#x017F;ol-<lb/>
chen Ge&#x017F;etzes oder Rechts &#x017F;o lange Statt finden, bis<lb/>
das Gegentheil von dem andern dargethan wird <note place="foot" n="34)">Eichmann Erla&#x0364;uterung des bu&#x0364;rgerlichen Rechts 1. Th.<lb/>
S. 365. u. folgg.</note>.<lb/>
Sollte aber die Bekanntmachung eines &#x017F;olchen Rechts<lb/>
&#x017F;o ganz in Verge&#x017F;&#x017F;enheit gerathen &#x017F;eyn, daß von der-<lb/>
&#x017F;elben keine Bewei&#x017F;e dargeleget werden ko&#x0364;nnten, &#x017F;o wird<lb/>
es nun als ein Gewohnheitsrecht zu betrachten, und nach<lb/>
den Grund&#x017F;a&#x0364;tzen, die davon gelten, zu beurtheilen &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Zweitens</hi> kann das nicht ge&#x017F;chriebene Recht ein &#x017F;olches &#x017F;eyn,<lb/>
&#x017F;o&#x017F;ich ur&#x017F;pru&#x0364;nglich nicht auf den ausdru&#x0364;cklich bekannt gemachten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Willen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[429/0449] de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. gegen Ende des funfzehenden Jahrhunderts ſelten foͤrm- lich ausgefertiget. Man publicirte ſie zwar, aber nur muͤndlich. Daher wurden ſie in der Eigenſchaft der Reichsſatzungen bald unbekannt und vergeſſen, und nur als ein Herkommen beybehalten und beobachtet. Ei- ne Urſache, warum wir ſo wenig alte aͤchte Reichsſa- tzungen haben 33). Ein ſolches herkoͤmmliches Recht iſt nun zwar im grammatiſchen Sinn ein nicht geſchrie- benes Recht, das durch den Gebrauch erhalten wird; allein in ſofern doch die urſpruͤngliche Bekanntmachung deſſelben erwieſen werden kann, hat es die Natur eines geſchriebenen Rechts im eigentlichen oder juriſtiſchen Sinn, und darf mithin nicht nach den Grundſaͤtzen ei- nes Gewohnheitsrechts beurtheilet werden. Entſtehet demnach uͤber die Guͤltigkeit eines ſolchen Rechts ein Zweifel, ſo darf nur erwieſen werden, daß die ehe- malige ausdruͤckliche Kundmachung deſſelben geſchehen ſey; iſt dieſe auſſer Zweifel geſezt worden, ſo muß die Vermuthung fuͤr die Guͤltigkeit eines ſol- chen Geſetzes oder Rechts ſo lange Statt finden, bis das Gegentheil von dem andern dargethan wird 34). Sollte aber die Bekanntmachung eines ſolchen Rechts ſo ganz in Vergeſſenheit gerathen ſeyn, daß von der- ſelben keine Beweiſe dargeleget werden koͤnnten, ſo wird es nun als ein Gewohnheitsrecht zu betrachten, und nach den Grundſaͤtzen, die davon gelten, zu beurtheilen ſeyn. Zweitens kann das nicht geſchriebene Recht ein ſolches ſeyn, ſoſich urſpruͤnglich nicht auf den ausdruͤcklich bekannt gemachten Willen 33) Car. Fried. Gerſtlachers Abhandlung von den Geſetzen und Ordnungen des teutſchen Reichs. 1. Band 1. Cap. S. 16. 17. 34) Eichmann Erlaͤuterung des buͤrgerlichen Rechts 1. Th. S. 365. u. folgg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/449
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/449>, abgerufen am 22.11.2024.