Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Verbesserungen und Zusätze zum ersten Bande des Glückischen Kommentars über die Pandecten. Für die Besitzer der ersten Ausgabe. Erlangen, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

etwas mehr in facto als in iure bestehe, oder wenn sie sonst ius
und factum einander entgegensetzen. So z. B. sagt Modestin
in der L. 10. D. de cap. minut. daß das Vermächtniß der Habi-
tation sich zwar mit dem Tode des Legatars endige, aber durch
keine Capitisdeminution verlohren werde: quia tale legatum in
facto potius, quam in iure consistit.
Paulus drückt sich fast
auf die nämliche Art aus, wenn er in der L. 27. §. 2. D. de pactis
sagt: in stipulationibus ius continetur, in pactis factum versatur.
Ich übergehe andere Stellen mit Stillschweigen, in welchen ius
und factum einander entgegengesetzt werden 27). Es fragt sich
also, haben die römischen Rechtsgelehrten hier wirklich dem
Worte ius eine von den Zeither angegebenen ganz verschiedene
Bedeutung beygelegt? Nach der gewöhnlichen Erklärung nimmt
man an, daß nach der Sprache der römischen Rechtsgelehrten
dasjenige in iure bestehe, was seine Consistenz und Form durch
die bürgerlichen Gesetze erhalten hat; in facto hingegen das-
jenige bestehe, was nicht durch die bürgerlichen Gesetze aner-
kannt, und in eine bestimmte Form gebracht worden, sondern
nur Resultat eines natürlichen Rechts oder einer natürlichen Ver-
bindlichkeit ist 28). Allein ich glaube nicht, daß man nöthig habe,
in den angeführten Stellen von der gewöhnlichen Bedeutung des
Worts ius, da es soviel als Gesetz heißt, abzuweichen. Mo-
dest in
will nämlich soviel sagen: darum gehe das Vermächtniß
der Habitation durch eine etwa erfolgte Capitisdeminution des

Lega-
27) Vergl. L. 41. D. de pecul. L. 48. §. 1. D. de acqu. rer.
dom. L.
38. §. 6. D. de Verb. obligat.
28) S. Ger. noodt de pactis et transact. cap. 8. Greg. majan-
sius
in Disput. iur. T. s. Disp. XVIII. §. 9. p. 329. Io. van
nispen in Exereit. ad fragmenta, quae in Dig. ex Herennii Mo-
destini IX. übris Differentiarum supersunt (in oelrichs Thes.
Dissert. Belgicar
. Vol. I. Tom. I. Diss. I.)
Roßmanns Ab-
handl. warum die Habitation vielmehr in facto als in iure be-
stehe? in den Erlangischen gelehrten Anzeigen auf das Jahr
1751. Nr. 33. und Gmelins Abh. von der eigentlichen Be-
schaffenheit der Habitation nach Röm. Rechtssystem; in den
gemeinnützigen jurist. Beobachtungen und Rechtsfällen. III. Band.
Nr. VII. §. 57.

etwas mehr in facto als in iure beſtehe, oder wenn ſie ſonſt ius
und factum einander entgegenſetzen. So z. B. ſagt Modeſtin
in der L. 10. D. de cap. minut. daß das Vermaͤchtniß der Habi-
tation ſich zwar mit dem Tode des Legatars endige, aber durch
keine Capitisdeminution verlohren werde: quia tale legatum in
facto potius, quam in iure conſiſtit.
Paulus druͤckt ſich faſt
auf die naͤmliche Art aus, wenn er in der L. 27. §. 2. D. de pactis
ſagt: in ſtipulationibus ius continetur, in pactis factum verſatur.
Ich uͤbergehe andere Stellen mit Stillſchweigen, in welchen ius
und factum einander entgegengeſetzt werden 27). Es fragt ſich
alſo, haben die roͤmiſchen Rechtsgelehrten hier wirklich dem
Worte ius eine von den Zeither angegebenen ganz verſchiedene
Bedeutung beygelegt? Nach der gewoͤhnlichen Erklaͤrung nimmt
man an, daß nach der Sprache der roͤmiſchen Rechtsgelehrten
dasjenige in iure beſtehe, was ſeine Conſiſtenz und Form durch
die buͤrgerlichen Geſetze erhalten hat; in facto hingegen das-
jenige beſtehe, was nicht durch die buͤrgerlichen Geſetze aner-
kannt, und in eine beſtimmte Form gebracht worden, ſondern
nur Reſultat eines natuͤrlichen Rechts oder einer natuͤrlichen Ver-
bindlichkeit iſt 28). Allein ich glaube nicht, daß man noͤthig habe,
in den angefuͤhrten Stellen von der gewoͤhnlichen Bedeutung des
Worts ius, da es ſoviel als Geſetz heißt, abzuweichen. Mo-
deſt in
will naͤmlich ſoviel ſagen: darum gehe das Vermaͤchtniß
der Habitation durch eine etwa erfolgte Capitisdeminution des

Lega-
27) Vergl. L. 41. D. de pecul. L. 48. §. 1. D. de acqu. rer.
dom. L.
38. §. 6. D. de Verb. obligat.
28) S. Ger. noodt de pactis et transact. cap. 8. Greg. majan-
sius
in Diſput. iur. T. ſ. Diſp. XVIII. §. 9. p. 329. Io. van
nispen in Exereit. ad fragmenta, quae in Dig. ex Herennii Mo-
deſtini IX. übris Differentiarum ſuperſunt (in oelrichs Theſ.
Diſſert. Belgicar
. Vol. I. Tom. I. Diſſ. I.)
Roßmanns Ab-
handl. warum die Habitation vielmehr in facto als in iure be-
ſtehe? in den Erlangiſchen gelehrten Anzeigen auf das Jahr
1751. Nr. 33. und Gmelins Abh. von der eigentlichen Be-
ſchaffenheit der Habitation nach Roͤm. Rechtsſyſtem; in den
gemeinnuͤtzigen juriſt. Beobachtungen und Rechtsfaͤllen. III. Band.
Nr. VII. §. 57.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0016" n="8"/>
etwas mehr <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">in facto</hi></hi> als <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">in iure</hi></hi> be&#x017F;tehe, oder wenn &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">ius</hi></hi><lb/>
und <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">factum</hi></hi> einander entgegen&#x017F;etzen. So z. B. &#x017F;agt <hi rendition="#g">Mode&#x017F;tin</hi><lb/>
in der <hi rendition="#aq">L. 10. D. de cap. minut.</hi> daß das Verma&#x0364;chtniß der Habi-<lb/>
tation &#x017F;ich zwar mit dem Tode des Legatars endige, aber durch<lb/>
keine Capitisdeminution verlohren werde: <hi rendition="#aq">quia tale legatum in<lb/>
facto potius, quam in iure con&#x017F;i&#x017F;tit.</hi> <hi rendition="#g">Paulus</hi> dru&#x0364;ckt &#x017F;ich fa&#x017F;t<lb/>
auf die na&#x0364;mliche Art aus, wenn er in der <hi rendition="#aq">L. 27. §. 2. D. de pactis</hi><lb/>
&#x017F;agt: <hi rendition="#aq">in &#x017F;tipulationibus ius continetur, in pactis factum ver&#x017F;atur.</hi><lb/>
Ich u&#x0364;bergehe andere Stellen mit Still&#x017F;chweigen, in welchen <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">ius</hi></hi><lb/>
und <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">factum</hi></hi> einander entgegenge&#x017F;etzt werden <note place="foot" n="27)">Vergl. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 41. <hi rendition="#i">D. de pecul. L.</hi> 48. §. 1. <hi rendition="#i">D. de acqu. rer.<lb/>
dom. L.</hi> 38. §. 6. <hi rendition="#i">D. de Verb. obligat</hi>.</hi></note>. Es fragt &#x017F;ich<lb/>
al&#x017F;o, haben die ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechtsgelehrten hier wirklich dem<lb/>
Worte <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">ius</hi></hi> eine von den Zeither angegebenen ganz ver&#x017F;chiedene<lb/>
Bedeutung beygelegt? Nach der gewo&#x0364;hnlichen Erkla&#x0364;rung nimmt<lb/>
man an, daß nach der Sprache der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechtsgelehrten<lb/>
dasjenige <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">in iure</hi></hi> be&#x017F;tehe, was &#x017F;eine Con&#x017F;i&#x017F;tenz und Form durch<lb/>
die bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;etze erhalten hat; <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">in facto</hi></hi> hingegen das-<lb/>
jenige be&#x017F;tehe, was nicht durch die bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;etze aner-<lb/>
kannt, und in eine be&#x017F;timmte Form gebracht worden, &#x017F;ondern<lb/>
nur Re&#x017F;ultat eines natu&#x0364;rlichen Rechts oder einer natu&#x0364;rlichen Ver-<lb/>
bindlichkeit i&#x017F;t <note place="foot" n="28)">S. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Ger</hi>. <hi rendition="#k">noodt</hi> de pactis et transact. cap. 8. <hi rendition="#i">Greg</hi>. <hi rendition="#k">majan-<lb/>
sius</hi> in Di&#x017F;put. iur. T. &#x017F;. Di&#x017F;p. XVIII. §. 9. p. 329. <hi rendition="#i">Io. van</hi><lb/><hi rendition="#k">nispen</hi> in Exereit. ad fragmenta, quae in Dig. ex Herennii Mo-<lb/>
de&#x017F;tini IX. übris Differentiarum &#x017F;uper&#x017F;unt (in <hi rendition="#k">oelrichs</hi> <hi rendition="#i">The&#x017F;.<lb/>
Di&#x017F;&#x017F;ert. Belgicar</hi>. Vol. I. Tom. I. Di&#x017F;&#x017F;. I.)</hi> <hi rendition="#g">Roßmanns</hi> Ab-<lb/>
handl. warum die Habitation vielmehr <hi rendition="#aq">in facto</hi> als <hi rendition="#aq">in iure</hi> be-<lb/>
&#x017F;tehe? in den Erlangi&#x017F;chen gelehrten Anzeigen auf das Jahr<lb/>
1751. Nr. 33. und <hi rendition="#g">Gmelins</hi> Abh. von der eigentlichen Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheit der Habitation nach Ro&#x0364;m. Rechts&#x017F;y&#x017F;tem; in den<lb/>
gemeinnu&#x0364;tzigen juri&#x017F;t. Beobachtungen und Rechtsfa&#x0364;llen. <hi rendition="#aq">III.</hi> Band.<lb/><hi rendition="#aq">Nr. VII.</hi> §. 57.</note>. Allein ich glaube nicht, daß man no&#x0364;thig habe,<lb/>
in den angefu&#x0364;hrten Stellen von der gewo&#x0364;hnlichen Bedeutung des<lb/>
Worts <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">ius,</hi></hi> da es &#x017F;oviel als Ge&#x017F;etz heißt, abzuweichen. <hi rendition="#g">Mo-<lb/>
de&#x017F;t in</hi> will na&#x0364;mlich &#x017F;oviel &#x017F;agen: darum gehe das Verma&#x0364;chtniß<lb/>
der Habitation durch eine etwa erfolgte Capitisdeminution des<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Lega-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0016] etwas mehr in facto als in iure beſtehe, oder wenn ſie ſonſt ius und factum einander entgegenſetzen. So z. B. ſagt Modeſtin in der L. 10. D. de cap. minut. daß das Vermaͤchtniß der Habi- tation ſich zwar mit dem Tode des Legatars endige, aber durch keine Capitisdeminution verlohren werde: quia tale legatum in facto potius, quam in iure conſiſtit. Paulus druͤckt ſich faſt auf die naͤmliche Art aus, wenn er in der L. 27. §. 2. D. de pactis ſagt: in ſtipulationibus ius continetur, in pactis factum verſatur. Ich uͤbergehe andere Stellen mit Stillſchweigen, in welchen ius und factum einander entgegengeſetzt werden 27). Es fragt ſich alſo, haben die roͤmiſchen Rechtsgelehrten hier wirklich dem Worte ius eine von den Zeither angegebenen ganz verſchiedene Bedeutung beygelegt? Nach der gewoͤhnlichen Erklaͤrung nimmt man an, daß nach der Sprache der roͤmiſchen Rechtsgelehrten dasjenige in iure beſtehe, was ſeine Conſiſtenz und Form durch die buͤrgerlichen Geſetze erhalten hat; in facto hingegen das- jenige beſtehe, was nicht durch die buͤrgerlichen Geſetze aner- kannt, und in eine beſtimmte Form gebracht worden, ſondern nur Reſultat eines natuͤrlichen Rechts oder einer natuͤrlichen Ver- bindlichkeit iſt 28). Allein ich glaube nicht, daß man noͤthig habe, in den angefuͤhrten Stellen von der gewoͤhnlichen Bedeutung des Worts ius, da es ſoviel als Geſetz heißt, abzuweichen. Mo- deſt in will naͤmlich ſoviel ſagen: darum gehe das Vermaͤchtniß der Habitation durch eine etwa erfolgte Capitisdeminution des Lega- 27) Vergl. L. 41. D. de pecul. L. 48. §. 1. D. de acqu. rer. dom. L. 38. §. 6. D. de Verb. obligat. 28) S. Ger. noodt de pactis et transact. cap. 8. Greg. majan- sius in Diſput. iur. T. ſ. Diſp. XVIII. §. 9. p. 329. Io. van nispen in Exereit. ad fragmenta, quae in Dig. ex Herennii Mo- deſtini IX. übris Differentiarum ſuperſunt (in oelrichs Theſ. Diſſert. Belgicar. Vol. I. Tom. I. Diſſ. I.) Roßmanns Ab- handl. warum die Habitation vielmehr in facto als in iure be- ſtehe? in den Erlangiſchen gelehrten Anzeigen auf das Jahr 1751. Nr. 33. und Gmelins Abh. von der eigentlichen Be- ſchaffenheit der Habitation nach Roͤm. Rechtsſyſtem; in den gemeinnuͤtzigen juriſt. Beobachtungen und Rechtsfaͤllen. III. Band. Nr. VII. §. 57.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01verbesserungen_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01verbesserungen_1798/16
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Verbesserungen und Zusätze zum ersten Bande des Glückischen Kommentars über die Pandecten. Für die Besitzer der ersten Ausgabe. Erlangen, 1798, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01verbesserungen_1798/16>, abgerufen am 03.12.2024.