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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

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De divisione rerum et qualitate.
Rechte einen eigenen Sinn hat 74). Nach diesem Begrif-
fen wäre also natürlicher Besitz die körperliche Detention
einer Sache selbst, denn dieß heiße eigentlich Besitz
nach dem gemeinen Sprachgebrauche: Civilbesitz hinge-
gen die körperliche Detention einer Sache, welche mit der
Absicht, dieselbe für sich zu behalten, verbunden, jedoch
von der Proprietät verschieden ist. Denn dieß heiße
Posseßion nach dem juristischen Sprachgebrauche. In
dieser Bedeutung habe auch Paulus die Benennung
naturalis possessio in mehrern Stellen genommen 75); und
in eben diesem Sinne werde von denjenigen, welche auf
den Namen eines andern besitzen, z. B. von Nutzniesern,
Pächtern und Depositaren, in unsern Gesetzen gesagt,
quod naturaliter possideant 76). So sey endlich auch
Venulejus zu verstehen, wenn er sagt, daß ein Pupill
auch ohne Auctorität des Vormundes einen natürlichen
Besitz erwerben könne 77). In allen diesen Stellen sey
possessio naturalis nichts anders als nuda rei detentio
corporalis,
und werde der Posseßion im juristi-
schen Verstande
entgegen gesetzt, welche mit einem
affectu possidendi verbunden ist. Es verstand sich von
selbst, daß natürlicher Besitz auch die physische Deten-
tion der Sache selbst genannt werden mußte, in so fern
sie einen Theil der Posseßion im juristischen Verstande
ausmacht, quae cum animo possidendi coniuncta est.

Dieß
74) L. 49. D. de Verbor. Significat. Conf. brissonius de
Verbor. Significat. voc. Naturalis et voc. Civilis.
75) L. 1. pr. et §. 1. L 3. §. 3 D. de A. vel A. P. In der
erstern Stelle sagt Paulus ganz ausdrücklich: naturali-
ter
possessio tenetur ab eo, qui ei insistit.
76) L. 12. pr. L. 49. pr. D. eodem. L. 7. §. 11. D. de comm.
divid.
77) L. ult. §. 1. D. de Precario.
K k 2

De diviſione rerum et qualitate.
Rechte einen eigenen Sinn hat 74). Nach dieſem Begrif-
fen waͤre alſo natuͤrlicher Beſitz die koͤrperliche Detention
einer Sache ſelbſt, denn dieß heiße eigentlich Beſitz
nach dem gemeinen Sprachgebrauche: Civilbeſitz hinge-
gen die koͤrperliche Detention einer Sache, welche mit der
Abſicht, dieſelbe fuͤr ſich zu behalten, verbunden, jedoch
von der Proprietaͤt verſchieden iſt. Denn dieß heiße
Poſſeßion nach dem juriſtiſchen Sprachgebrauche. In
dieſer Bedeutung habe auch Paulus die Benennung
naturalis poſſeſſio in mehrern Stellen genommen 75); und
in eben dieſem Sinne werde von denjenigen, welche auf
den Namen eines andern beſitzen, z. B. von Nutznieſern,
Paͤchtern und Depoſitaren, in unſern Geſetzen geſagt,
quod naturaliter poſſideant 76). So ſey endlich auch
Venulejus zu verſtehen, wenn er ſagt, daß ein Pupill
auch ohne Auctoritaͤt des Vormundes einen natuͤrlichen
Beſitz erwerben koͤnne 77). In allen dieſen Stellen ſey
poſſeſſio naturalis nichts anders als nuda rei detentio
corporalis,
und werde der Poſſeßion im juriſti-
ſchen Verſtande
entgegen geſetzt, welche mit einem
affectu poſſidendi verbunden iſt. Es verſtand ſich von
ſelbſt, daß natuͤrlicher Beſitz auch die phyſiſche Deten-
tion der Sache ſelbſt genannt werden mußte, in ſo fern
ſie einen Theil der Poſſeßion im juriſtiſchen Verſtande
ausmacht, quae cum animo poſſidendi coniuncta eſt.

Dieß
74) L. 49. D. de Verbor. Significat. Conf. brissonius de
Verbor. Significat. voc. Naturalis et voc. Civilis.
75) L. 1. pr. et §. 1. L 3. §. 3 D. de A. vel A. P. In der
erſtern Stelle ſagt Paulus ganz ausdruͤcklich: naturali-
ter
poſſeſſio tenetur ab eo, qui ei inſiſtit.
76) L. 12. pr. L. 49. pr. D. eodem. L. 7. §. 11. D. de comm.
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77) L. ult. §. 1. D. de Precario.
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[515/0529] De diviſione rerum et qualitate. Rechte einen eigenen Sinn hat 74). Nach dieſem Begrif- fen waͤre alſo natuͤrlicher Beſitz die koͤrperliche Detention einer Sache ſelbſt, denn dieß heiße eigentlich Beſitz nach dem gemeinen Sprachgebrauche: Civilbeſitz hinge- gen die koͤrperliche Detention einer Sache, welche mit der Abſicht, dieſelbe fuͤr ſich zu behalten, verbunden, jedoch von der Proprietaͤt verſchieden iſt. Denn dieß heiße Poſſeßion nach dem juriſtiſchen Sprachgebrauche. In dieſer Bedeutung habe auch Paulus die Benennung naturalis poſſeſſio in mehrern Stellen genommen 75); und in eben dieſem Sinne werde von denjenigen, welche auf den Namen eines andern beſitzen, z. B. von Nutznieſern, Paͤchtern und Depoſitaren, in unſern Geſetzen geſagt, quod naturaliter poſſideant 76). So ſey endlich auch Venulejus zu verſtehen, wenn er ſagt, daß ein Pupill auch ohne Auctoritaͤt des Vormundes einen natuͤrlichen Beſitz erwerben koͤnne 77). In allen dieſen Stellen ſey poſſeſſio naturalis nichts anders als nuda rei detentio corporalis, und werde der Poſſeßion im juriſti- ſchen Verſtande entgegen geſetzt, welche mit einem affectu poſſidendi verbunden iſt. Es verſtand ſich von ſelbſt, daß natuͤrlicher Beſitz auch die phyſiſche Deten- tion der Sache ſelbſt genannt werden mußte, in ſo fern ſie einen Theil der Poſſeßion im juriſtiſchen Verſtande ausmacht, quae cum animo poſſidendi coniuncta eſt. Dieß 74) L. 49. D. de Verbor. Significat. Conf. brissonius de Verbor. Significat. voc. Naturalis et voc. Civilis. 75) L. 1. pr. et §. 1. L 3. §. 3 D. de A. vel A. P. In der erſtern Stelle ſagt Paulus ganz ausdruͤcklich: naturali- ter poſſeſſio tenetur ab eo, qui ei inſiſtit. 76) L. 12. pr. L. 49. pr. D. eodem. L. 7. §. 11. D. de comm. divid. 77) L. ult. §. 1. D. de Precario. K k 2

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/529>, abgerufen am 23.11.2024.