Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.leben und sterben, den mir die Heiligen angewiesen haben . . . Francois, fügte sie nach einer Pause hinzu, während er mit zusammengezogenen Brauen und einem bösen Zuge um die Lippen dastand, es ist nun über ein Jahr, daß wir uns nicht gesehen haben; ich hoffte, daß du in dieser Zeit verständiger geworden wärst . . . gieb dir jetzt Mühe darum . . . thu's mir zu Liebe! Willst du? Mit diesen Worten bot sie ihm die Hand; aber er nahm sie nicht, lachte bitter auf und blieb unbeweglich stehen, als Claudine fortging. Erst als ihre Schritte verklangen, brach sein Trotz zusammen. Stöhnend warf er sich auf die Bank und drückte die geballten Hände an die heißen, überquellenden Augen. Das Wiedersehen hatte die vergangenen Zeiten wachgerufen, und vergebens schalt er sich feige und thöricht -- er konnte die Gedanken nicht davon abwenden. Er erinnerte sich, wie schnell Claudine und er gute Freunde geworden waren, als sie mit ihrer Mutter nach der Obermühle kam. Sie war damals ein wildes, scheues Kind von etwa fünf Jahren, das dem Stiefvater überall im Wege stand. Ihre Mutter sah es darum gern, wenn sie der Francois mit fortnahm, dessen Großmutter seit Menschengedenken in der Mühle gedient hatte und jetzt vom Müller Vidal das Gnadenbrod bekam. Auch der Francois war seit dem Tod seiner Eltern in der Mühle, wo er nach Kräften in Feld und leben und sterben, den mir die Heiligen angewiesen haben . . . François, fügte sie nach einer Pause hinzu, während er mit zusammengezogenen Brauen und einem bösen Zuge um die Lippen dastand, es ist nun über ein Jahr, daß wir uns nicht gesehen haben; ich hoffte, daß du in dieser Zeit verständiger geworden wärst . . . gieb dir jetzt Mühe darum . . . thu's mir zu Liebe! Willst du? Mit diesen Worten bot sie ihm die Hand; aber er nahm sie nicht, lachte bitter auf und blieb unbeweglich stehen, als Claudine fortging. Erst als ihre Schritte verklangen, brach sein Trotz zusammen. Stöhnend warf er sich auf die Bank und drückte die geballten Hände an die heißen, überquellenden Augen. Das Wiedersehen hatte die vergangenen Zeiten wachgerufen, und vergebens schalt er sich feige und thöricht — er konnte die Gedanken nicht davon abwenden. Er erinnerte sich, wie schnell Claudine und er gute Freunde geworden waren, als sie mit ihrer Mutter nach der Obermühle kam. Sie war damals ein wildes, scheues Kind von etwa fünf Jahren, das dem Stiefvater überall im Wege stand. Ihre Mutter sah es darum gern, wenn sie der François mit fortnahm, dessen Großmutter seit Menschengedenken in der Mühle gedient hatte und jetzt vom Müller Vidal das Gnadenbrod bekam. Auch der François war seit dem Tod seiner Eltern in der Mühle, wo er nach Kräften in Feld und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0026"/> leben und sterben, den mir die Heiligen angewiesen haben . . . François, fügte sie nach einer Pause hinzu, während er mit zusammengezogenen Brauen und einem bösen Zuge um die Lippen dastand, es ist nun über ein Jahr, daß wir uns nicht gesehen haben; ich hoffte, daß du in dieser Zeit verständiger geworden wärst . . . gieb dir jetzt Mühe darum . . . thu's mir zu Liebe! Willst du?</p><lb/> <p>Mit diesen Worten bot sie ihm die Hand; aber er nahm sie nicht, lachte bitter auf und blieb unbeweglich stehen, als Claudine fortging.</p><lb/> <p>Erst als ihre Schritte verklangen, brach sein Trotz zusammen. Stöhnend warf er sich auf die Bank und drückte die geballten Hände an die heißen, überquellenden Augen. Das Wiedersehen hatte die vergangenen Zeiten wachgerufen, und vergebens schalt er sich feige und thöricht — er konnte die Gedanken nicht davon abwenden.</p><lb/> <p>Er erinnerte sich, wie schnell Claudine und er gute Freunde geworden waren, als sie mit ihrer Mutter nach der Obermühle kam. Sie war damals ein wildes, scheues Kind von etwa fünf Jahren, das dem Stiefvater überall im Wege stand. Ihre Mutter sah es darum gern, wenn sie der François mit fortnahm, dessen Großmutter seit Menschengedenken in der Mühle gedient hatte und jetzt vom Müller Vidal das Gnadenbrod bekam. Auch der François war seit dem Tod seiner Eltern in der Mühle, wo er nach Kräften in Feld und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
leben und sterben, den mir die Heiligen angewiesen haben . . . François, fügte sie nach einer Pause hinzu, während er mit zusammengezogenen Brauen und einem bösen Zuge um die Lippen dastand, es ist nun über ein Jahr, daß wir uns nicht gesehen haben; ich hoffte, daß du in dieser Zeit verständiger geworden wärst . . . gieb dir jetzt Mühe darum . . . thu's mir zu Liebe! Willst du?
Mit diesen Worten bot sie ihm die Hand; aber er nahm sie nicht, lachte bitter auf und blieb unbeweglich stehen, als Claudine fortging.
Erst als ihre Schritte verklangen, brach sein Trotz zusammen. Stöhnend warf er sich auf die Bank und drückte die geballten Hände an die heißen, überquellenden Augen. Das Wiedersehen hatte die vergangenen Zeiten wachgerufen, und vergebens schalt er sich feige und thöricht — er konnte die Gedanken nicht davon abwenden.
Er erinnerte sich, wie schnell Claudine und er gute Freunde geworden waren, als sie mit ihrer Mutter nach der Obermühle kam. Sie war damals ein wildes, scheues Kind von etwa fünf Jahren, das dem Stiefvater überall im Wege stand. Ihre Mutter sah es darum gern, wenn sie der François mit fortnahm, dessen Großmutter seit Menschengedenken in der Mühle gedient hatte und jetzt vom Müller Vidal das Gnadenbrod bekam. Auch der François war seit dem Tod seiner Eltern in der Mühle, wo er nach Kräften in Feld und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T15:29:37Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T15:29:37Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |