Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Hört Ihr nicht! rief er mit schallender Stimme; die Musikanten sind da, den ersten Contretanz dürft Ihr nicht versäumen. Der junge Mann erschrak. Alle Tanzversuche, die er als halberwachsener Bursche gemacht, waren kläglich ausgefallen. Später hatte ihn der Tod seiner Eltern und Geschwister jahrelang von allen Lustbarkeiten fern gehalten, und so war man in Aressi daran gewöhnt, daß er nicht tanzte. Aber hier, vor allen den fremden, spöttischen Augen gestehen, daß er nicht tanzen könne! -- Ihm sank das Herz. -- Ein Jahr seines Lebens hätte er darum gegeben, wenn ihm eine Entschuldigung eingefallen wäre, und wenn's auch eine Lüge war. Er konnte sich jedoch auf nichts besinnen, und der Francois, der ihm sonst immer aus der Noth half, ließ sich nicht sehen. Wie im Traum führte er Claudine dem Tanzplatz zu, der unter den Eichen in der Mitte des Dorfplatzes abgesteckt war und schon von tanzlustigen Burschen und Mädchen umdrängt wurde, indeß die Musikanten -- Geiger, Dudelsackbläser und Flötist -- die auf umgestürzten Tonnen Posto gefaßt, noch immer vergebens nach einer Art von Uebereinstimmung in Tact und Tonart suchten. Die Claudine Vidal! . . . Die Claudine mit ihrem Bräutigam! ging es flüsternd durch die Gruppen, und Aller Augen wandten sich dem Paare zu. Dem Henriot wurde immer schlechter zu Muth. Hört Ihr nicht! rief er mit schallender Stimme; die Musikanten sind da, den ersten Contretanz dürft Ihr nicht versäumen. Der junge Mann erschrak. Alle Tanzversuche, die er als halberwachsener Bursche gemacht, waren kläglich ausgefallen. Später hatte ihn der Tod seiner Eltern und Geschwister jahrelang von allen Lustbarkeiten fern gehalten, und so war man in Aressi daran gewöhnt, daß er nicht tanzte. Aber hier, vor allen den fremden, spöttischen Augen gestehen, daß er nicht tanzen könne! — Ihm sank das Herz. — Ein Jahr seines Lebens hätte er darum gegeben, wenn ihm eine Entschuldigung eingefallen wäre, und wenn's auch eine Lüge war. Er konnte sich jedoch auf nichts besinnen, und der François, der ihm sonst immer aus der Noth half, ließ sich nicht sehen. Wie im Traum führte er Claudine dem Tanzplatz zu, der unter den Eichen in der Mitte des Dorfplatzes abgesteckt war und schon von tanzlustigen Burschen und Mädchen umdrängt wurde, indeß die Musikanten — Geiger, Dudelsackbläser und Flötist — die auf umgestürzten Tonnen Posto gefaßt, noch immer vergebens nach einer Art von Uebereinstimmung in Tact und Tonart suchten. Die Claudine Vidal! . . . Die Claudine mit ihrem Bräutigam! ging es flüsternd durch die Gruppen, und Aller Augen wandten sich dem Paare zu. Dem Henriot wurde immer schlechter zu Muth. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <pb facs="#f0040"/> <p>Hört Ihr nicht! rief er mit schallender Stimme; die Musikanten sind da, den ersten Contretanz dürft Ihr nicht versäumen.</p><lb/> <p>Der junge Mann erschrak. Alle Tanzversuche, die er als halberwachsener Bursche gemacht, waren kläglich ausgefallen. Später hatte ihn der Tod seiner Eltern und Geschwister jahrelang von allen Lustbarkeiten fern gehalten, und so war man in Aressi daran gewöhnt, daß er nicht tanzte.</p><lb/> <p>Aber hier, vor allen den fremden, spöttischen Augen gestehen, daß er nicht tanzen könne! — Ihm sank das Herz. — Ein Jahr seines Lebens hätte er darum gegeben, wenn ihm eine Entschuldigung eingefallen wäre, und wenn's auch eine Lüge war. Er konnte sich jedoch auf nichts besinnen, und der François, der ihm sonst immer aus der Noth half, ließ sich nicht sehen. Wie im Traum führte er Claudine dem Tanzplatz zu, der unter den Eichen in der Mitte des Dorfplatzes abgesteckt war und schon von tanzlustigen Burschen und Mädchen umdrängt wurde, indeß die Musikanten — Geiger, Dudelsackbläser und Flötist — die auf umgestürzten Tonnen Posto gefaßt, noch immer vergebens nach einer Art von Uebereinstimmung in Tact und Tonart suchten.</p><lb/> <p>Die Claudine Vidal! . . . Die Claudine mit ihrem Bräutigam! ging es flüsternd durch die Gruppen, und Aller Augen wandten sich dem Paare zu.</p><lb/> <p>Dem Henriot wurde immer schlechter zu Muth.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Hört Ihr nicht! rief er mit schallender Stimme; die Musikanten sind da, den ersten Contretanz dürft Ihr nicht versäumen.
Der junge Mann erschrak. Alle Tanzversuche, die er als halberwachsener Bursche gemacht, waren kläglich ausgefallen. Später hatte ihn der Tod seiner Eltern und Geschwister jahrelang von allen Lustbarkeiten fern gehalten, und so war man in Aressi daran gewöhnt, daß er nicht tanzte.
Aber hier, vor allen den fremden, spöttischen Augen gestehen, daß er nicht tanzen könne! — Ihm sank das Herz. — Ein Jahr seines Lebens hätte er darum gegeben, wenn ihm eine Entschuldigung eingefallen wäre, und wenn's auch eine Lüge war. Er konnte sich jedoch auf nichts besinnen, und der François, der ihm sonst immer aus der Noth half, ließ sich nicht sehen. Wie im Traum führte er Claudine dem Tanzplatz zu, der unter den Eichen in der Mitte des Dorfplatzes abgesteckt war und schon von tanzlustigen Burschen und Mädchen umdrängt wurde, indeß die Musikanten — Geiger, Dudelsackbläser und Flötist — die auf umgestürzten Tonnen Posto gefaßt, noch immer vergebens nach einer Art von Uebereinstimmung in Tact und Tonart suchten.
Die Claudine Vidal! . . . Die Claudine mit ihrem Bräutigam! ging es flüsternd durch die Gruppen, und Aller Augen wandten sich dem Paare zu.
Dem Henriot wurde immer schlechter zu Muth.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T15:29:37Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T15:29:37Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |