Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.noch ein kleines Kind wärst, und als ich mal fragte: warum sie keinen Verkehr mit dir hätte? antwortete sie, das dürfe nicht sein, und weinte dabei so bitterlich, daß ich dergleichen nie mehr gesagt habe. Damals hast du sie natürlich auch für verrückt gehalten, sagte der Caduchon. Ganz Jurancon hat es gethan. Aber sei aufrichtig, Francois: hast du diese Meinung heute noch? Hast du nicht wenigstens bei deiner letzten Unterredung mit ihr das Gefühl gehabt, daß Alles, was sie da sagte, die lautere Wahrheit gewesen ist? Ich weiß nicht, antwortete Francois, ohne aufzusehen. Das Gesicht des Alten verfinsterte sich. Ich merke schon, du willst nicht mit der Sprache heraus, sagte er. Für Andere besorgt sein, ist recht und gut, aber man kann's damit auch zu weit treiben. Eigentlich hab' ich dich bitten wollen, die Geschichte zu Ende zu erzählen, aber wenn du so wenig Courage hast, muß ich es selbst verrichten. So höre denn, Claudine. Vor zwei Jahren zu Fastnacht wurde die Mariannette krank, und als der Sommer kam, ging's mit ihr zu Ende. Sie wußte das auch, betete fleißiger als je den Rosenkranz und hatte oft große Beängstigungen. Eines Abends, als ich nach Hause kam -- ich ging natürlich nur auf die nächsten Ortschaften -- fand ich den Francois bei ihr und sie selbst sehr schwach. noch ein kleines Kind wärst, und als ich mal fragte: warum sie keinen Verkehr mit dir hätte? antwortete sie, das dürfe nicht sein, und weinte dabei so bitterlich, daß ich dergleichen nie mehr gesagt habe. Damals hast du sie natürlich auch für verrückt gehalten, sagte der Caduchon. Ganz Jurançon hat es gethan. Aber sei aufrichtig, François: hast du diese Meinung heute noch? Hast du nicht wenigstens bei deiner letzten Unterredung mit ihr das Gefühl gehabt, daß Alles, was sie da sagte, die lautere Wahrheit gewesen ist? Ich weiß nicht, antwortete François, ohne aufzusehen. Das Gesicht des Alten verfinsterte sich. Ich merke schon, du willst nicht mit der Sprache heraus, sagte er. Für Andere besorgt sein, ist recht und gut, aber man kann's damit auch zu weit treiben. Eigentlich hab' ich dich bitten wollen, die Geschichte zu Ende zu erzählen, aber wenn du so wenig Courage hast, muß ich es selbst verrichten. So höre denn, Claudine. Vor zwei Jahren zu Fastnacht wurde die Mariannette krank, und als der Sommer kam, ging's mit ihr zu Ende. Sie wußte das auch, betete fleißiger als je den Rosenkranz und hatte oft große Beängstigungen. Eines Abends, als ich nach Hause kam — ich ging natürlich nur auf die nächsten Ortschaften — fand ich den François bei ihr und sie selbst sehr schwach. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0066"/> noch ein kleines Kind wärst, und als ich mal fragte: warum sie keinen Verkehr mit dir hätte? antwortete sie, das dürfe nicht sein, und weinte dabei so bitterlich, daß ich dergleichen nie mehr gesagt habe.</p><lb/> <p>Damals hast du sie natürlich auch für verrückt gehalten, sagte der Caduchon. Ganz Jurançon hat es gethan. Aber sei aufrichtig, François: hast du diese Meinung heute noch? Hast du nicht wenigstens bei deiner letzten Unterredung mit ihr das Gefühl gehabt, daß Alles, was sie da sagte, die lautere Wahrheit gewesen ist?</p><lb/> <p>Ich weiß nicht, antwortete François, ohne aufzusehen.</p><lb/> <p>Das Gesicht des Alten verfinsterte sich.</p><lb/> <p>Ich merke schon, du willst nicht mit der Sprache heraus, sagte er. Für Andere besorgt sein, ist recht und gut, aber man kann's damit auch zu weit treiben. Eigentlich hab' ich dich bitten wollen, die Geschichte zu Ende zu erzählen, aber wenn du so wenig Courage hast, muß ich es selbst verrichten. So höre denn, Claudine.</p><lb/> <p>Vor zwei Jahren zu Fastnacht wurde die Mariannette krank, und als der Sommer kam, ging's mit ihr zu Ende. Sie wußte das auch, betete fleißiger als je den Rosenkranz und hatte oft große Beängstigungen. Eines Abends, als ich nach Hause kam — ich ging natürlich nur auf die nächsten Ortschaften — fand ich den François bei ihr und sie selbst sehr schwach.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
noch ein kleines Kind wärst, und als ich mal fragte: warum sie keinen Verkehr mit dir hätte? antwortete sie, das dürfe nicht sein, und weinte dabei so bitterlich, daß ich dergleichen nie mehr gesagt habe.
Damals hast du sie natürlich auch für verrückt gehalten, sagte der Caduchon. Ganz Jurançon hat es gethan. Aber sei aufrichtig, François: hast du diese Meinung heute noch? Hast du nicht wenigstens bei deiner letzten Unterredung mit ihr das Gefühl gehabt, daß Alles, was sie da sagte, die lautere Wahrheit gewesen ist?
Ich weiß nicht, antwortete François, ohne aufzusehen.
Das Gesicht des Alten verfinsterte sich.
Ich merke schon, du willst nicht mit der Sprache heraus, sagte er. Für Andere besorgt sein, ist recht und gut, aber man kann's damit auch zu weit treiben. Eigentlich hab' ich dich bitten wollen, die Geschichte zu Ende zu erzählen, aber wenn du so wenig Courage hast, muß ich es selbst verrichten. So höre denn, Claudine.
Vor zwei Jahren zu Fastnacht wurde die Mariannette krank, und als der Sommer kam, ging's mit ihr zu Ende. Sie wußte das auch, betete fleißiger als je den Rosenkranz und hatte oft große Beängstigungen. Eines Abends, als ich nach Hause kam — ich ging natürlich nur auf die nächsten Ortschaften — fand ich den François bei ihr und sie selbst sehr schwach.
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Zitationshilfe: | Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/66>, abgerufen am 16.02.2025. |