Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

trag haftet nun die Dotation dessen, was noch von
Ideen lebt, oder aufs Neue sich beleben wird.

Geflügelt sind die Geister, frey hat sie Gott gege¬
ben, auf ihre Gefahr können sie Jegliches versuchen;
konnt ich hindern, daß sie endlich von ihrem Rechte
Gebrauch gemacht, und der Mutter sicheres, warmes
Nest verlassend, ins Weite sich hinausgeschwungen?
Ist nicht auch diese Vernunft wie jedes andere Ver¬
mögen eine Gottesgabe, und ist es hier ein Frevel
wenn sie die angeborne Kraft versucht?

Es ist eine Irrlehre, daß nur der Glaube im hö¬
hern Lichte wandle, die Vernunft aber, ein durch
Hochmuth gefallner Geist, in der Finsterniß regiere;
Hochmuth ist nur ein zeitliches Verderben; als er in
der Kirche eingerissen, ist die Kirche in der Rückwir¬
kung erstarrt; die Vernunft aber, wenn sie seiner sich
entschlagend, in lauterm Streben, und reingeistig dem
angebornen Freyheitstriebe bis zum Ende folgt, wird
am Ziele sich an der Stätte wiederfinden, wo sie aus¬
gegangen, und Glauben und Wissen wird in der rech¬
ten Ueberzeugung sich als eins bewähren. Parthey¬
ung aber ist auf dem Wege zu diesem Ziele, die noth¬
wendige Folge jeder Freyheitsübung, nur wenn Stein
und Stahl sich reiben, bricht der Funke der Begei¬
stigung heraus.

Wohl ist alles Wissen begreifflicher, sinnlicher ge¬
worden, es ist der Lauf der Zeiten, der von der Höhe
zur Tiefe niedersteigend, dahin geführt; wie die un¬
tern Organe des Staates, der dritte Stand, aufge¬
blüht, hat er nach seiner Weise nur nach dem Prak¬
tischen, Derben, Tüchtigen gestrebt, und die Wissen¬

trag haftet nun die Dotation deſſen, was noch von
Ideen lebt, oder aufs Neue ſich beleben wird.

Geflügelt ſind die Geiſter, frey hat ſie Gott gege¬
ben, auf ihre Gefahr können ſie Jegliches verſuchen;
konnt ich hindern, daß ſie endlich von ihrem Rechte
Gebrauch gemacht, und der Mutter ſicheres, warmes
Neſt verlaſſend, ins Weite ſich hinausgeſchwungen?
Iſt nicht auch dieſe Vernunft wie jedes andere Ver¬
mögen eine Gottesgabe, und iſt es hier ein Frevel
wenn ſie die angeborne Kraft verſucht?

Es iſt eine Irrlehre, daß nur der Glaube im hö¬
hern Lichte wandle, die Vernunft aber, ein durch
Hochmuth gefallner Geiſt, in der Finſterniß regiere;
Hochmuth iſt nur ein zeitliches Verderben; als er in
der Kirche eingeriſſen, iſt die Kirche in der Rückwir¬
kung erſtarrt; die Vernunft aber, wenn ſie ſeiner ſich
entſchlagend, in lauterm Streben, und reingeiſtig dem
angebornen Freyheitstriebe bis zum Ende folgt, wird
am Ziele ſich an der Stätte wiederfinden, wo ſie aus¬
gegangen, und Glauben und Wiſſen wird in der rech¬
ten Ueberzeugung ſich als eins bewähren. Parthey¬
ung aber iſt auf dem Wege zu dieſem Ziele, die noth¬
wendige Folge jeder Freyheitsübung, nur wenn Stein
und Stahl ſich reiben, bricht der Funke der Begei¬
ſtigung heraus.

Wohl iſt alles Wiſſen begreifflicher, ſinnlicher ge¬
worden, es iſt der Lauf der Zeiten, der von der Höhe
zur Tiefe niederſteigend, dahin geführt; wie die un¬
tern Organe des Staates, der dritte Stand, aufge¬
blüht, hat er nach ſeiner Weiſe nur nach dem Prak¬
tiſchen, Derben, Tüchtigen geſtrebt, und die Wiſſen¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0150" n="142"/>
trag haftet nun die Dotation de&#x017F;&#x017F;en, was noch von<lb/>
Ideen lebt, oder aufs Neue &#x017F;ich beleben wird.</p><lb/>
      <p>Geflügelt &#x017F;ind die Gei&#x017F;ter, frey hat &#x017F;ie Gott gege¬<lb/>
ben, auf ihre Gefahr können &#x017F;ie Jegliches ver&#x017F;uchen;<lb/>
konnt ich hindern, daß &#x017F;ie endlich von ihrem Rechte<lb/>
Gebrauch gemacht, und der Mutter &#x017F;icheres, warmes<lb/>
Ne&#x017F;t verla&#x017F;&#x017F;end, ins Weite &#x017F;ich hinausge&#x017F;chwungen?<lb/>
I&#x017F;t nicht auch die&#x017F;e Vernunft wie jedes andere Ver¬<lb/>
mögen eine Gottesgabe, und i&#x017F;t es hier ein Frevel<lb/>
wenn &#x017F;ie die angeborne Kraft ver&#x017F;ucht?</p><lb/>
      <p>Es i&#x017F;t eine Irrlehre, daß nur der Glaube im hö¬<lb/>
hern Lichte wandle, die Vernunft aber, ein durch<lb/>
Hochmuth gefallner Gei&#x017F;t, in der Fin&#x017F;terniß regiere;<lb/>
Hochmuth i&#x017F;t nur ein zeitliches Verderben; als er in<lb/>
der Kirche eingeri&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t die Kirche in der Rückwir¬<lb/>
kung er&#x017F;tarrt; die Vernunft aber, wenn &#x017F;ie &#x017F;einer &#x017F;ich<lb/>
ent&#x017F;chlagend, in lauterm Streben, und reingei&#x017F;tig dem<lb/>
angebornen Freyheitstriebe bis zum Ende folgt, wird<lb/>
am Ziele &#x017F;ich an der Stätte wiederfinden, wo &#x017F;ie aus¬<lb/>
gegangen, und Glauben und Wi&#x017F;&#x017F;en wird in der rech¬<lb/>
ten Ueberzeugung &#x017F;ich als eins bewähren. Parthey¬<lb/>
ung aber i&#x017F;t auf dem Wege zu die&#x017F;em Ziele, die noth¬<lb/>
wendige Folge jeder Freyheitsübung, nur wenn Stein<lb/>
und Stahl &#x017F;ich reiben, bricht der Funke der Begei¬<lb/>
&#x017F;tigung heraus.</p><lb/>
      <p>Wohl i&#x017F;t alles Wi&#x017F;&#x017F;en begreifflicher, &#x017F;innlicher ge¬<lb/>
worden, es i&#x017F;t der Lauf der Zeiten, der von der Höhe<lb/>
zur Tiefe nieder&#x017F;teigend, dahin geführt; wie die un¬<lb/>
tern Organe des Staates, der dritte Stand, aufge¬<lb/>
blüht, hat er nach &#x017F;einer Wei&#x017F;e nur nach dem Prak¬<lb/>
ti&#x017F;chen, Derben, Tüchtigen ge&#x017F;trebt, und die Wi&#x017F;&#x017F;en¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0150] trag haftet nun die Dotation deſſen, was noch von Ideen lebt, oder aufs Neue ſich beleben wird. Geflügelt ſind die Geiſter, frey hat ſie Gott gege¬ ben, auf ihre Gefahr können ſie Jegliches verſuchen; konnt ich hindern, daß ſie endlich von ihrem Rechte Gebrauch gemacht, und der Mutter ſicheres, warmes Neſt verlaſſend, ins Weite ſich hinausgeſchwungen? Iſt nicht auch dieſe Vernunft wie jedes andere Ver¬ mögen eine Gottesgabe, und iſt es hier ein Frevel wenn ſie die angeborne Kraft verſucht? Es iſt eine Irrlehre, daß nur der Glaube im hö¬ hern Lichte wandle, die Vernunft aber, ein durch Hochmuth gefallner Geiſt, in der Finſterniß regiere; Hochmuth iſt nur ein zeitliches Verderben; als er in der Kirche eingeriſſen, iſt die Kirche in der Rückwir¬ kung erſtarrt; die Vernunft aber, wenn ſie ſeiner ſich entſchlagend, in lauterm Streben, und reingeiſtig dem angebornen Freyheitstriebe bis zum Ende folgt, wird am Ziele ſich an der Stätte wiederfinden, wo ſie aus¬ gegangen, und Glauben und Wiſſen wird in der rech¬ ten Ueberzeugung ſich als eins bewähren. Parthey¬ ung aber iſt auf dem Wege zu dieſem Ziele, die noth¬ wendige Folge jeder Freyheitsübung, nur wenn Stein und Stahl ſich reiben, bricht der Funke der Begei¬ ſtigung heraus. Wohl iſt alles Wiſſen begreifflicher, ſinnlicher ge¬ worden, es iſt der Lauf der Zeiten, der von der Höhe zur Tiefe niederſteigend, dahin geführt; wie die un¬ tern Organe des Staates, der dritte Stand, aufge¬ blüht, hat er nach ſeiner Weiſe nur nach dem Prak¬ tiſchen, Derben, Tüchtigen geſtrebt, und die Wiſſen¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/150
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/150>, abgerufen am 12.05.2024.