Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

die Erde vom Sternenhimmel, doch wieder in sich
selber abgeschlossen, und innerhalb dieses eigenthüm¬
lichen Würkungskreises nach bestimmten Gesetzen einer
Naturnothwendigkeit im ewigen Kreislaufe bewegt,
und in sofern es dieser Nothwendigkeit anheimgefallen,
jener Freyheit entrückt und eigenem Rechte pflichtig ist.
Darum ist das Eine allerdings ein Symbol des An¬
dern, und das Ideale geht dem Realen als das Erste
an Würde vor; aber in wiefern nach der Naturseite
hin die Idee sich in der Darstellung wirklich verkörpert
hat, ist sie aus dem Gebiethe des Idealen herausge¬
treten, und dieses muß sie nun den Naturgesetzen der
realen Sphäre überlassen.

So ist der Vorrang des Ethischen vor dem Patheti¬
schen zwar nicht zweifelhaft, und die Ethik erkennt in
ihrem Gebiethe die Herrschaft der Leidenschaften und
der Nachtseite des Menschen in keine Weise an; aber
sie bescheidet sich auch im Gebiethe der Leidenschaften
selbst keine direkte Herrschaft auszuüben; sie mag nur
allenfalls durch das Gesetz des Schönen so weit hin¬
unterreichen, und nimmt es nur über sich, die Aus¬
brüche jener Naturtriebe nach Möglichkeit zu ordnen
und zu regeln. Darum ist denn auch allerdings die
Kirche dem Range nach das Erste, aber darum nicht
das ausschließlich Herrschende; der Staat vielmehr in
seinem engern Gebiethe, durch vielfältige irdische Ver¬
hältnisse bestimmt, besitzt seine eigene selbstständige
Autonomie, die die Kirche zwar heiligen aber nicht in
Anspruch nehmen kann.

Nur wenn die Quellgeister der Tiefe ansteigen in
Vermessenheit, wenn sie wie Ahrmann in jener Lehre hin¬
auf zum Aether qualmen und seine Sterne verhüllen

10

die Erde vom Sternenhimmel, doch wieder in ſich
ſelber abgeſchloſſen, und innerhalb dieſes eigenthüm¬
lichen Würkungskreiſes nach beſtimmten Geſetzen einer
Naturnothwendigkeit im ewigen Kreislaufe bewegt,
und in ſofern es dieſer Nothwendigkeit anheimgefallen,
jener Freyheit entrückt und eigenem Rechte pflichtig iſt.
Darum iſt das Eine allerdings ein Symbol des An¬
dern, und das Ideale geht dem Realen als das Erſte
an Würde vor; aber in wiefern nach der Naturſeite
hin die Idee ſich in der Darſtellung wirklich verkörpert
hat, iſt ſie aus dem Gebiethe des Idealen herausge¬
treten, und dieſes muß ſie nun den Naturgeſetzen der
realen Sphäre überlaſſen.

So iſt der Vorrang des Ethiſchen vor dem Patheti¬
ſchen zwar nicht zweifelhaft, und die Ethik erkennt in
ihrem Gebiethe die Herrſchaft der Leidenſchaften und
der Nachtſeite des Menſchen in keine Weiſe an; aber
ſie beſcheidet ſich auch im Gebiethe der Leidenſchaften
ſelbſt keine direkte Herrſchaft auszuüben; ſie mag nur
allenfalls durch das Geſetz des Schönen ſo weit hin¬
unterreichen, und nimmt es nur über ſich, die Aus¬
brüche jener Naturtriebe nach Möglichkeit zu ordnen
und zu regeln. Darum iſt denn auch allerdings die
Kirche dem Range nach das Erſte, aber darum nicht
das ausſchließlich Herrſchende; der Staat vielmehr in
ſeinem engern Gebiethe, durch vielfältige irdiſche Ver¬
hältniſſe beſtimmt, beſitzt ſeine eigene ſelbſtſtändige
Autonomie, die die Kirche zwar heiligen aber nicht in
Anſpruch nehmen kann.

Nur wenn die Quellgeiſter der Tiefe anſteigen in
Vermeſſenheit, wenn ſie wie Ahrmann in jener Lehre hin¬
auf zum Aether qualmen und ſeine Sterne verhüllen

10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0153" n="145"/>
die Erde vom Sternenhimmel, doch wieder in &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elber abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und innerhalb die&#x017F;es eigenthüm¬<lb/>
lichen Würkungskrei&#x017F;es nach be&#x017F;timmten Ge&#x017F;etzen einer<lb/>
Naturnothwendigkeit im ewigen Kreislaufe bewegt,<lb/>
und in &#x017F;ofern es die&#x017F;er Nothwendigkeit anheimgefallen,<lb/>
jener Freyheit entrückt und eigenem Rechte pflichtig i&#x017F;t.<lb/>
Darum i&#x017F;t das Eine allerdings ein Symbol des An¬<lb/>
dern, und das Ideale geht dem Realen als das Er&#x017F;te<lb/>
an Würde vor; aber in wiefern nach der Natur&#x017F;eite<lb/>
hin die Idee &#x017F;ich in der Dar&#x017F;tellung wirklich verkörpert<lb/>
hat, i&#x017F;t &#x017F;ie aus dem Gebiethe des Idealen herausge¬<lb/>
treten, und die&#x017F;es muß &#x017F;ie nun den Naturge&#x017F;etzen der<lb/>
realen Sphäre überla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
      <p>So i&#x017F;t der Vorrang des Ethi&#x017F;chen vor dem Patheti¬<lb/>
&#x017F;chen zwar nicht zweifelhaft, und die Ethik erkennt in<lb/>
ihrem Gebiethe die Herr&#x017F;chaft der Leiden&#x017F;chaften und<lb/>
der Nacht&#x017F;eite des Men&#x017F;chen in keine Wei&#x017F;e an; aber<lb/>
&#x017F;ie be&#x017F;cheidet &#x017F;ich auch im Gebiethe der Leiden&#x017F;chaften<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t keine direkte Herr&#x017F;chaft auszuüben; &#x017F;ie mag nur<lb/>
allenfalls durch das Ge&#x017F;etz des Schönen &#x017F;o weit hin¬<lb/>
unterreichen, und nimmt es nur über &#x017F;ich, die Aus¬<lb/>
brüche jener Naturtriebe nach Möglichkeit zu ordnen<lb/>
und zu regeln. Darum i&#x017F;t denn auch allerdings die<lb/>
Kirche dem Range nach das Er&#x017F;te, aber darum nicht<lb/>
das aus&#x017F;chließlich Herr&#x017F;chende; der Staat vielmehr in<lb/>
&#x017F;einem engern Gebiethe, durch vielfältige irdi&#x017F;che Ver¬<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;timmt, be&#x017F;itzt &#x017F;eine eigene &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige<lb/>
Autonomie, die die Kirche zwar heiligen aber nicht in<lb/>
An&#x017F;pruch nehmen kann.</p><lb/>
      <p>Nur wenn die Quellgei&#x017F;ter der Tiefe an&#x017F;teigen in<lb/>
Verme&#x017F;&#x017F;enheit, wenn &#x017F;ie wie Ahrmann in jener Lehre hin¬<lb/>
auf zum Aether qualmen und &#x017F;eine Sterne verhüllen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0153] die Erde vom Sternenhimmel, doch wieder in ſich ſelber abgeſchloſſen, und innerhalb dieſes eigenthüm¬ lichen Würkungskreiſes nach beſtimmten Geſetzen einer Naturnothwendigkeit im ewigen Kreislaufe bewegt, und in ſofern es dieſer Nothwendigkeit anheimgefallen, jener Freyheit entrückt und eigenem Rechte pflichtig iſt. Darum iſt das Eine allerdings ein Symbol des An¬ dern, und das Ideale geht dem Realen als das Erſte an Würde vor; aber in wiefern nach der Naturſeite hin die Idee ſich in der Darſtellung wirklich verkörpert hat, iſt ſie aus dem Gebiethe des Idealen herausge¬ treten, und dieſes muß ſie nun den Naturgeſetzen der realen Sphäre überlaſſen. So iſt der Vorrang des Ethiſchen vor dem Patheti¬ ſchen zwar nicht zweifelhaft, und die Ethik erkennt in ihrem Gebiethe die Herrſchaft der Leidenſchaften und der Nachtſeite des Menſchen in keine Weiſe an; aber ſie beſcheidet ſich auch im Gebiethe der Leidenſchaften ſelbſt keine direkte Herrſchaft auszuüben; ſie mag nur allenfalls durch das Geſetz des Schönen ſo weit hin¬ unterreichen, und nimmt es nur über ſich, die Aus¬ brüche jener Naturtriebe nach Möglichkeit zu ordnen und zu regeln. Darum iſt denn auch allerdings die Kirche dem Range nach das Erſte, aber darum nicht das ausſchließlich Herrſchende; der Staat vielmehr in ſeinem engern Gebiethe, durch vielfältige irdiſche Ver¬ hältniſſe beſtimmt, beſitzt ſeine eigene ſelbſtſtändige Autonomie, die die Kirche zwar heiligen aber nicht in Anſpruch nehmen kann. Nur wenn die Quellgeiſter der Tiefe anſteigen in Vermeſſenheit, wenn ſie wie Ahrmann in jener Lehre hin¬ auf zum Aether qualmen und ſeine Sterne verhüllen 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/153
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/153>, abgerufen am 04.12.2024.