[Görres, Joseph:] [Rezension zu:] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim u. C. Brentano. In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Fünfte Abtheilung. Philologie, Historie, schöne Literatur und Kunst, Jg. 2 (1809), Bd. 1, Heft 5, S. 222‒237 und Jg. 3 (1810), Bd. 2, Heft 9, S. 30‒52.der gereiften Kraft in die erste Einfalt und Unschuld früher Jugend in spielender Naivität, ist der ganze bunte Wechsel der ersten morgenrothen Lebensstunden hier dargestellt, und man kann sagen, daß lange noch nicht alles erschöpft ist, was die Nation in dieser Art besitzt. Alle die kleinen, spielenden Farbenlichter, die durch diese Zeit durchschießen, sind hier aufgehascht, und die verstolenen kindischen Blicke in das Leben abgelauscht, und wie sich die Welt in den kleinen Convexspiegel zusammenbricht, in treuem Bilde dargestellt. Nach bunten Farben nur verlangt das Kinderauge, nicht groß achtend Form und Gestalt und Zusammensetzung, an hellen, klingenden Tönen und Reimaccorden und einzelnen, lieblichsüßen Worten erfreut sich das Ohr, und begreift nicht tiefsinnigen Jnhalt des Gesanges. Jn diesem Geiste sind zunächst die Wiegenlieder gedichtet, Schäfchen und Lämmchen, Steinchen und Beinchen, Glöckchen und Döckchen, Kindlein und Engelein, Gickelchen und Vögelchen ins Eya popeya geflochten, und in Tönen wie in süßer Muttermilch aufgelöst; während andere beruhigende oder auch anprotzende Klänge den weinenden Unmuth zu beschwichtigen dienen, und die Reiterslieder auf des Vaters Knie, die Trompeterstückchen, beym Fahren und Kutschen, und zum in die Hände patschen, durch schnellen, hüpfenden Rhythmus vergnügen wollen, und die Ammenuhr mit ihrem Glockenspiel in den fröhlichen, muntern Scherz hineinsteigt. Wenn aber der Kreis der kindischen Thätigkeit sich mehr erweitert, dann möchte das Kind auch selbst die früher eingezogenen Laute wieder von sich geben, es versucht sich daher im Tonspiel, wie es früher in Bewegungen sich versuchte, und so entsteht die zweyte Gattung dieser Lieder z.B. die jubelnde Feyer der Wiederkehr der schönern Jahrszeit in freudigem Aufjauchzen der Frühlingsumgang, der Sommerverkündigung, des Sommertagsliedes, die Begrüßung der Jahresfeste Havele Hahne, Sankt Niklas, Dreykönigslied, Brunnenfeyer zu Johannis, Sternseherlied, der gereiften Kraft in die erste Einfalt und Unschuld fruͤher Jugend in spielender Naivitaͤt, ist der ganze bunte Wechsel der ersten morgenrothen Lebensstunden hier dargestellt, und man kann sagen, daß lange noch nicht alles erschoͤpft ist, was die Nation in dieser Art besitzt. Alle die kleinen, spielenden Farbenlichter, die durch diese Zeit durchschießen, sind hier aufgehascht, und die verstolenen kindischen Blicke in das Leben abgelauscht, und wie sich die Welt in den kleinen Convexspiegel zusammenbricht, in treuem Bilde dargestellt. Nach bunten Farben nur verlangt das Kinderauge, nicht groß achtend Form und Gestalt und Zusammensetzung, an hellen, klingenden Toͤnen und Reimaccorden und einzelnen, lieblichsuͤßen Worten erfreut sich das Ohr, und begreift nicht tiefsinnigen Jnhalt des Gesanges. Jn diesem Geiste sind zunaͤchst die Wiegenlieder gedichtet, Schaͤfchen und Laͤmmchen, Steinchen und Beinchen, Gloͤckchen und Doͤckchen, Kindlein und Engelein, Gickelchen und Voͤgelchen ins Eya popeya geflochten, und in Toͤnen wie in suͤßer Muttermilch aufgeloͤst; waͤhrend andere beruhigende oder auch anprotzende Klaͤnge den weinenden Unmuth zu beschwichtigen dienen, und die Reiterslieder auf des Vaters Knie, die Trompeterstuͤckchen, beym Fahren und Kutschen, und zum in die Haͤnde patschen, durch schnellen, huͤpfenden Rhythmus vergnuͤgen wollen, und die Ammenuhr mit ihrem Glockenspiel in den froͤhlichen, muntern Scherz hineinsteigt. Wenn aber der Kreis der kindischen Thaͤtigkeit sich mehr erweitert, dann moͤchte das Kind auch selbst die fruͤher eingezogenen Laute wieder von sich geben, es versucht sich daher im Tonspiel, wie es fruͤher in Bewegungen sich versuchte, und so entsteht die zweyte Gattung dieser Lieder z.B. die jubelnde Feyer der Wiederkehr der schoͤnern Jahrszeit in freudigem Aufjauchzen der Fruͤhlingsumgang, der Sommerverkuͤndigung, des Sommertagsliedes, die Begruͤßung der Jahresfeste Havele Hahne, Sankt Niklas, Dreykoͤnigslied, Brunnenfeyer zu Johannis, Sternseherlied, <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0014" n="234"/> der gereiften Kraft in die erste Einfalt und Unschuld fruͤher Jugend in spielender Naivitaͤt, ist der ganze bunte Wechsel der ersten morgenrothen Lebensstunden hier dargestellt, und man kann sagen, daß lange noch nicht alles erschoͤpft ist, was die Nation in dieser Art besitzt. Alle die kleinen, spielenden Farbenlichter, die durch diese Zeit durchschießen, sind hier aufgehascht, und die verstolenen kindischen Blicke in das Leben abgelauscht, und wie sich die Welt in den kleinen Convexspiegel zusammenbricht, in treuem Bilde dargestellt. Nach bunten Farben nur verlangt das Kinderauge, nicht groß achtend Form und Gestalt und Zusammensetzung, an hellen, klingenden Toͤnen und Reimaccorden und einzelnen, lieblichsuͤßen Worten erfreut sich das Ohr, und begreift nicht tiefsinnigen Jnhalt des Gesanges. Jn diesem Geiste sind zunaͤchst die <hi rendition="#g">Wiegenlieder</hi> gedichtet, Schaͤfchen und Laͤmmchen, Steinchen und Beinchen, Gloͤckchen und Doͤckchen, Kindlein und Engelein, Gickelchen und Voͤgelchen ins Eya popeya geflochten, und in Toͤnen wie in suͤßer Muttermilch aufgeloͤst; waͤhrend andere beruhigende oder auch anprotzende Klaͤnge den weinenden Unmuth zu beschwichtigen dienen, und die <hi rendition="#g">Reiterslieder</hi> auf des Vaters Knie, die <hi rendition="#g">Trompeterstuͤckchen</hi>, beym <hi rendition="#g">Fahren</hi> und <hi rendition="#g">Kutschen</hi>, und zum in <hi rendition="#g">die Haͤnde patschen</hi>, durch schnellen, huͤpfenden Rhythmus vergnuͤgen wollen, und die <hi rendition="#g">Ammenuhr</hi> mit ihrem Glockenspiel in den froͤhlichen, muntern Scherz hineinsteigt. 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(2018-02-08T18:42:42Z)
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