Nun zieht er mit seinem Vater, nach vollbrachten Wallfahrten, durch Klein-Asien, sie bleiben zu Iconium. Dort lehren sie, werden verfolgt, vertrieben, wieder einge- setzt, und liegen daselbst, mit einem ihrer treusten Lehrgenossen, begraben. Indessen hatte Dschengis Chan Persien erobert, ohne den ruhigen Ort ihres Aufenthaltes zu be- rühren.
Nach obiger Darstellung wird man die- sem grossen Geiste nicht verargen, wenn er sich ins Abstruse gewendet. Seine Werke sehen etwas bunt aus, Geschichtchen, Mähr- chen, Parabeln, Legenden, Anecdoten, Bey- spiele, Probleme behandelt er, um eine ge- heimnissvolle Lehre eingängig zu machen, von der er selbst keine deutliche Rechenschaft zu geben weiss. Unterricht und Erhebung ist sein Zweck, im Ganzen aber sucht er durch die Einheitslehre alle Sehnsucht wo nicht zu erfüllen doch aufzulösen und an- zudeuten, dass im göttlichen Wesen zuletzt alles untertauche und sich verkläre.
Nun zieht er mit seinem Vater, nach vollbrachten Wallfahrten, durch Klein-Asien, sie bleiben zu Iconium. Dort lehren sie, werden verfolgt, vertrieben, wieder einge- setzt, und liegen daselbst, mit einem ihrer treusten Lehrgenossen, begraben. Indessen hatte Dschengis Chan Persien erobert, ohne den ruhigen Ort ihres Aufenthaltes zu be- rühren.
Nach obiger Darstellung wird man die- sem groſsen Geiste nicht verargen, wenn er sich ins Abstruse gewendet. Seine Werke sehen etwas bunt aus, Geschichtchen, Mähr- chen, Parabeln, Legenden, Anecdoten, Bey- spiele, Probleme behandelt er, um eine ge- heimniſsvolle Lehre eingängig zu machen, von der er selbst keine deutliche Rechenschaft zu geben weiſs. Unterricht und Erhebung ist sein Zweck, im Ganzen aber sucht er durch die Einheitslehre alle Sehnsucht wo nicht zu erfüllen doch aufzulösen und an- zudeuten, daſs im göttlichen Wesen zuletzt alles untertauche und sich verkläre.
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Nun zieht er mit seinem Vater, nach
vollbrachten Wallfahrten, durch Klein-Asien,
sie bleiben zu Iconium. Dort lehren sie,
werden verfolgt, vertrieben, wieder einge-
setzt, und liegen daselbst, mit einem ihrer
treusten Lehrgenossen, begraben. Indessen
hatte Dschengis Chan Persien erobert, ohne
den ruhigen Ort ihres Aufenthaltes zu be-
rühren.
Nach obiger Darstellung wird man die-
sem groſsen Geiste nicht verargen, wenn
er sich ins Abstruse gewendet. Seine Werke
sehen etwas bunt aus, Geschichtchen, Mähr-
chen, Parabeln, Legenden, Anecdoten, Bey-
spiele, Probleme behandelt er, um eine ge-
heimniſsvolle Lehre eingängig zu machen,
von der er selbst keine deutliche Rechenschaft
zu geben weiſs. Unterricht und Erhebung
ist sein Zweck, im Ganzen aber sucht er
durch die Einheitslehre alle Sehnsucht wo
nicht zu erfüllen doch aufzulösen und an-
zudeuten, daſs im göttlichen Wesen zuletzt
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/322>, abgerufen am 22.12.2024.
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