die Unzahl mittlerer, täglicher Talente er- hoben sahen; dabey aber auch in eine be- sondere Zeit, in eine Lage gelangten, wo sie eine grosse Erndte glücklich wegnehmen und gleich-talentvollen Nachkommen sogar die Wirkung auf eine Zeit lang verkümmern durften, bis wieder ein Zeitraum verging, in welchem die Natur dem Dichter neue Schätze abermals aufschliessen konnte.
In diesem Sinne nehmen wir die Dar- gestellten einzeln nochmals durch und be- merken: dass
Firdusi die ganzen vergangenen Staats- und Reichsereignisse, fabelhaft oder histo- risch aufbehalten, vorwegnahm, so dass einem Nachfolger nur Bezug und Anmer- kung, nicht aber neue Behandlung und Darstellung übrig blieb.
Enveri hielt sich fest an der Gegen- wart. Glänzend und prächtig, wie die Na- tur ihm erschien, freud- und gabenvoll er- blickt er auch den Hof seines Schahs; bey- de Welten und ihre Vorzüge mit den lieb- lichsten Worten zu verknüpfen, war Pflicht und Behagen. Niemand hat es ihm hierin gleich gethan.
21
die Unzahl mittlerer, täglicher Talente er- hoben sahen; dabey aber auch in eine be- sondere Zeit, in eine Lage gelangten, wo sie eine groſse Erndte glücklich wegnehmen und gleich-talentvollen Nachkommen sogar die Wirkung auf eine Zeit lang verkümmern durften, bis wieder ein Zeitraum verging, in welchem die Natur dem Dichter neue Schätze abermals aufschlieſsen konnte.
In diesem Sinne nehmen wir die Dar- gestellten einzeln nochmals durch und be- merken: daſs
Firdusi die ganzen vergangenen Staats- und Reichsereignisse, fabelhaft oder histo- risch aufbehalten, vorwegnahm, so daſs einem Nachfolger nur Bezug und Anmer- kung, nicht aber neue Behandlung und Darstellung übrig blieb.
Enveri hielt sich fest an der Gegen- wart. Glänzend und prächtig, wie die Na- tur ihm erschien, freud- und gabenvoll er- blickt er auch den Hof seines Schahs; bey- de Welten und ihre Vorzüge mit den lieb- lichsten Worten zu verknüpfen, war Pflicht und Behagen. Niemand hat es ihm hierin gleich gethan.
21
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0331"n="321"/>
die Unzahl mittlerer, täglicher Talente er-<lb/>
hoben sahen; dabey aber auch in eine be-<lb/>
sondere Zeit, in eine Lage gelangten, wo<lb/>
sie eine groſse Erndte glücklich wegnehmen<lb/>
und gleich-talentvollen Nachkommen sogar<lb/>
die Wirkung auf eine Zeit lang verkümmern<lb/>
durften, bis wieder ein Zeitraum verging,<lb/>
in welchem die Natur dem Dichter neue<lb/>
Schätze abermals aufschlieſsen konnte.</p><lb/><p>In diesem Sinne nehmen wir die Dar-<lb/>
gestellten einzeln nochmals durch und be-<lb/>
merken: daſs</p><lb/><p><hirendition="#g">Firdusi</hi> die ganzen vergangenen Staats-<lb/>
und Reichsereignisse, fabelhaft oder histo-<lb/>
risch aufbehalten, vorwegnahm, so daſs<lb/>
einem Nachfolger nur Bezug und Anmer-<lb/>
kung, nicht aber neue Behandlung und<lb/>
Darstellung übrig blieb.</p><lb/><p><hirendition="#g">Enveri</hi> hielt sich fest an der Gegen-<lb/>
wart. Glänzend und prächtig, wie die Na-<lb/>
tur ihm erschien, freud- und gabenvoll er-<lb/>
blickt er auch den Hof seines Schahs; bey-<lb/>
de Welten und ihre Vorzüge mit den lieb-<lb/>
lichsten Worten zu verknüpfen, war Pflicht<lb/>
und Behagen. Niemand hat es ihm hierin<lb/>
gleich gethan.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">21</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[321/0331]
die Unzahl mittlerer, täglicher Talente er-
hoben sahen; dabey aber auch in eine be-
sondere Zeit, in eine Lage gelangten, wo
sie eine groſse Erndte glücklich wegnehmen
und gleich-talentvollen Nachkommen sogar
die Wirkung auf eine Zeit lang verkümmern
durften, bis wieder ein Zeitraum verging,
in welchem die Natur dem Dichter neue
Schätze abermals aufschlieſsen konnte.
In diesem Sinne nehmen wir die Dar-
gestellten einzeln nochmals durch und be-
merken: daſs
Firdusi die ganzen vergangenen Staats-
und Reichsereignisse, fabelhaft oder histo-
risch aufbehalten, vorwegnahm, so daſs
einem Nachfolger nur Bezug und Anmer-
kung, nicht aber neue Behandlung und
Darstellung übrig blieb.
Enveri hielt sich fest an der Gegen-
wart. Glänzend und prächtig, wie die Na-
tur ihm erschien, freud- und gabenvoll er-
blickt er auch den Hof seines Schahs; bey-
de Welten und ihre Vorzüge mit den lieb-
lichsten Worten zu verknüpfen, war Pflicht
und Behagen. Niemand hat es ihm hierin
gleich gethan.
21
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/331>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.