Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

den und Reisenden, denn sie sind als Mittel
eines guten Rufs zu betrachten; sey gastfrey,
schätze die Vorüberziehenden, hüte dich un-
gerecht gegen sie zu seyn. Wer diesen Rath
des Gesandten befolgt, wird gewiss Vortheil
davon ziehen.


Man erzählt dass Omar ebn abd el
asis
ein mächtiger König war, und Nachts
in seinem Kämmerlein voll Demuth und Un-
terwerfung, das Angesicht zum Throne des
Schöpfers wendend, sprach: O Herr! Gro-
sses hast du anvertraut der Hand des schwa-
chen Knechtes; um der Herrlichkeit der
Reinen und Heiligen deines Reiches willen,
verleihe mir Gerechtigkeit und Billigkeit,
bewahre mich vor der Bosheit der Menschen;
ich fürchte dass das Herz eines Unschuldi-
gen durch mich könne betrübt worden seyn,
und Fluch des Unterdrückten meinem Na-
cken folge. Ein König soll immer an die
Herrschaft und das Daseyn des höchsten
Wesens gedenken, an die fortwährende Ver-
änderlichkeit der irdischen Dinge, er soll
bedenken dass die Krone von einem würdi-

den und Reisenden, denn sie sind als Mittel
eines guten Rufs zu betrachten; sey gastfrey,
schätze die Vorüberziehenden, hüte dich un-
gerecht gegen sie zu seyn. Wer diesen Rath
des Gesandten befolgt, wird gewiſs Vortheil
davon ziehen.


Man erzählt daſs Omar ebn abd el
asis
ein mächtiger König war, und Nachts
in seinem Kämmerlein voll Demuth und Un-
terwerfung, das Angesicht zum Throne des
Schöpfers wendend, sprach: O Herr! Gro-
ſses hast du anvertraut der Hand des schwa-
chen Knechtes; um der Herrlichkeit der
Reinen und Heiligen deines Reiches willen,
verleihe mir Gerechtigkeit und Billigkeit,
bewahre mich vor der Bosheit der Menschen;
ich fürchte daſs das Herz eines Unschuldi-
gen durch mich könne betrübt worden seyn,
und Fluch des Unterdrückten meinem Na-
cken folge. Ein König soll immer an die
Herrschaft und das Daseyn des höchsten
Wesens gedenken, an die fortwährende Ver-
änderlichkeit der irdischen Dinge, er soll
bedenken daſs die Krone von einem würdi-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0345" n="335"/>
den und Reisenden, denn sie sind als Mittel<lb/>
eines guten Rufs zu betrachten; sey gastfrey,<lb/>
schätze die Vorüberziehenden, hüte dich un-<lb/>
gerecht gegen sie zu seyn. Wer diesen Rath<lb/>
des Gesandten befolgt, wird gewi&#x017F;s Vortheil<lb/>
davon ziehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Man erzählt da&#x017F;s <hi rendition="#g">Omar ebn abd el<lb/>
asis</hi> ein mächtiger König war, und Nachts<lb/>
in seinem Kämmerlein voll Demuth und Un-<lb/>
terwerfung, das Angesicht zum Throne des<lb/>
Schöpfers wendend, sprach: O Herr! Gro-<lb/>
&#x017F;ses hast du anvertraut der Hand des schwa-<lb/>
chen Knechtes; um der Herrlichkeit der<lb/>
Reinen und Heiligen deines Reiches willen,<lb/>
verleihe mir Gerechtigkeit und Billigkeit,<lb/>
bewahre mich vor der Bosheit der Menschen;<lb/>
ich fürchte da&#x017F;s das Herz eines Unschuldi-<lb/>
gen durch mich könne betrübt worden seyn,<lb/>
und Fluch des Unterdrückten meinem Na-<lb/>
cken folge. Ein König soll immer an die<lb/>
Herrschaft und das Daseyn des höchsten<lb/>
Wesens gedenken, an die fortwährende Ver-<lb/>
änderlichkeit der irdischen Dinge, er soll<lb/>
bedenken da&#x017F;s die Krone von einem würdi-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0345] den und Reisenden, denn sie sind als Mittel eines guten Rufs zu betrachten; sey gastfrey, schätze die Vorüberziehenden, hüte dich un- gerecht gegen sie zu seyn. Wer diesen Rath des Gesandten befolgt, wird gewiſs Vortheil davon ziehen. Man erzählt daſs Omar ebn abd el asis ein mächtiger König war, und Nachts in seinem Kämmerlein voll Demuth und Un- terwerfung, das Angesicht zum Throne des Schöpfers wendend, sprach: O Herr! Gro- ſses hast du anvertraut der Hand des schwa- chen Knechtes; um der Herrlichkeit der Reinen und Heiligen deines Reiches willen, verleihe mir Gerechtigkeit und Billigkeit, bewahre mich vor der Bosheit der Menschen; ich fürchte daſs das Herz eines Unschuldi- gen durch mich könne betrübt worden seyn, und Fluch des Unterdrückten meinem Na- cken folge. Ein König soll immer an die Herrschaft und das Daseyn des höchsten Wesens gedenken, an die fortwährende Ver- änderlichkeit der irdischen Dinge, er soll bedenken daſs die Krone von einem würdi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/345
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/345>, abgerufen am 22.12.2024.