unsere Eitelkeit befriedigen, der Eitelkeit des andern zu schmeicheln wissen.
Mit den Anmassungen unsers westli- chen Dichters aber möchten wir die Lands- leute gern versöhnen. Eine gewisse Auf- schneiderey durfte dem Divan nicht fehlen, wenn der orientalische Charakter einiger- massen ausgedrückt werden sollte.
In die unerfreuliche Anmassung gegen die höheren Stände konnte der Dichter nicht verfallen. Seine glückliche Lage über- hob ihn jedes Kampfes mit Despotismus. In das Lob, das er seinen fürstlichen Ge- bietern zollen könnte, stimmt ja die Welt mit ein. Die hohen Personen, mit denen er sonst in Verhältniss gestanden, pries und preist man noch immer. Ja man kann dem Dichter vorwerfen, dass der enkomiastische Theil seines Divans nicht reich genug sey.
Was aber das Buch des Unmuths be- trifft, so möchte man wohl einiges daran zu tadeln finden. Jeder Unmuthige drückt zu deutlich aus, dass seine persönliche Er- wartung nicht erfüllt, sein Verdienst nicht anerkannt sey. So auch er! Von oben herein ist er nicht beengt, aber von unten
unsere Eitelkeit befriedigen, der Eitelkeit des andern zu schmeicheln wissen.
Mit den Anmaſsungen unsers westli- chen Dichters aber möchten wir die Lands- leute gern versöhnen. Eine gewisse Auf- schneiderey durfte dem Divan nicht fehlen, wenn der orientalische Charakter einiger- maſsen ausgedrückt werden sollte.
In die unerfreuliche Anmaſsung gegen die höheren Stände konnte der Dichter nicht verfallen. Seine glückliche Lage über- hob ihn jedes Kampfes mit Despotismus. In das Lob, das er seinen fürstlichen Ge- bietern zollen könnte, stimmt ja die Welt mit ein. Die hohen Personen, mit denen er sonst in Verhältniſs gestanden, pries und preist man noch immer. Ja man kann dem Dichter vorwerfen, daſs der enkomiastische Theil seines Divans nicht reich genug sey.
Was aber das Buch des Unmuths be- trifft, so möchte man wohl einiges daran zu tadeln finden. Jeder Unmuthige drückt zu deutlich aus, daſs seine persönliche Er- wartung nicht erfüllt, sein Verdienst nicht anerkannt sey. So auch er! Von oben herein ist er nicht beengt, aber von unten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0419"n="407[409]"/>
unsere Eitelkeit befriedigen, der Eitelkeit<lb/>
des andern zu schmeicheln wissen.</p><lb/><p>Mit den Anmaſsungen unsers westli-<lb/>
chen Dichters aber möchten wir die Lands-<lb/>
leute gern versöhnen. Eine gewisse Auf-<lb/>
schneiderey durfte dem Divan nicht fehlen,<lb/>
wenn der orientalische Charakter einiger-<lb/>
maſsen ausgedrückt werden sollte.</p><lb/><p>In die unerfreuliche Anmaſsung gegen<lb/>
die höheren Stände konnte der Dichter<lb/>
nicht verfallen. Seine glückliche Lage über-<lb/>
hob ihn jedes Kampfes mit Despotismus.<lb/>
In das Lob, das er seinen fürstlichen Ge-<lb/>
bietern zollen könnte, stimmt ja die Welt<lb/>
mit ein. Die hohen Personen, mit denen<lb/>
er sonst in Verhältniſs gestanden, pries und<lb/>
preist man noch immer. Ja man kann dem<lb/>
Dichter vorwerfen, daſs der enkomiastische<lb/>
Theil seines Divans nicht reich genug sey.</p><lb/><p>Was aber das Buch des Unmuths be-<lb/>
trifft, so möchte man wohl einiges daran<lb/>
zu tadeln finden. Jeder Unmuthige drückt<lb/>
zu deutlich aus, daſs seine persönliche Er-<lb/>
wartung nicht erfüllt, sein Verdienst nicht<lb/>
anerkannt sey. So auch er! Von oben<lb/>
herein ist er nicht beengt, aber von unten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[407[409]/0419]
unsere Eitelkeit befriedigen, der Eitelkeit
des andern zu schmeicheln wissen.
Mit den Anmaſsungen unsers westli-
chen Dichters aber möchten wir die Lands-
leute gern versöhnen. Eine gewisse Auf-
schneiderey durfte dem Divan nicht fehlen,
wenn der orientalische Charakter einiger-
maſsen ausgedrückt werden sollte.
In die unerfreuliche Anmaſsung gegen
die höheren Stände konnte der Dichter
nicht verfallen. Seine glückliche Lage über-
hob ihn jedes Kampfes mit Despotismus.
In das Lob, das er seinen fürstlichen Ge-
bietern zollen könnte, stimmt ja die Welt
mit ein. Die hohen Personen, mit denen
er sonst in Verhältniſs gestanden, pries und
preist man noch immer. Ja man kann dem
Dichter vorwerfen, daſs der enkomiastische
Theil seines Divans nicht reich genug sey.
Was aber das Buch des Unmuths be-
trifft, so möchte man wohl einiges daran
zu tadeln finden. Jeder Unmuthige drückt
zu deutlich aus, daſs seine persönliche Er-
wartung nicht erfüllt, sein Verdienst nicht
anerkannt sey. So auch er! Von oben
herein ist er nicht beengt, aber von unten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 407[409]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/419>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.