gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei- nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft war von meines ganzen Lebens-Wandel und Handel der beste Gewinn. Ich halte davor, dass keiner unter den Menschen, (unter den Engeln möchte es allenfalls seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm hätte vergleichen können an Gestalt, Auf- richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol- cher Freundschaft genossen, hab' ich es verredet und es däucht mir unbillig zu seyn nach seinem Tode meine Liebe einem an- dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein Fuss in die Schlinge seines Verhängnisses, dass er schleunigst ins Grab musste. Ich habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als ein Wächter gesessen und gelegen und gar viele Trauerlieder über seinen Tod und unser Scheiden ausgesprochen, welche mir und andern noch immer rührend bleiben."
Buch der Parabeln. Obgleich die westlichen Nationen vom Reichthum des Orients sich vieles zugeeignet, so wird sich doch hier noch manches einzuerndten
gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei- nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft war von meines ganzen Lebens-Wandel und Handel der beste Gewinn. Ich halte davor, daſs keiner unter den Menschen, (unter den Engeln möchte es allenfalls seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm hätte vergleichen können an Gestalt, Auf- richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol- cher Freundschaft genossen, hab’ ich es verredet und es däucht mir unbillig zu seyn nach seinem Tode meine Liebe einem an- dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein Fuſs in die Schlinge seines Verhängnisses, daſs er schleunigst ins Grab muſste. Ich habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als ein Wächter gesessen und gelegen und gar viele Trauerlieder über seinen Tod und unser Scheiden ausgesprochen, welche mir und andern noch immer rührend bleiben.“
Buch der Parabeln. Obgleich die westlichen Nationen vom Reichthum des Orients sich vieles zugeeignet, so wird sich doch hier noch manches einzuerndten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0430"n="418[420]"/>
gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei-<lb/>
nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft<lb/>
war von meines ganzen Lebens-Wandel<lb/>
und Handel der beste Gewinn. Ich halte<lb/>
davor, daſs keiner unter den Menschen,<lb/>
(unter den Engeln möchte es allenfalls<lb/>
seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm<lb/>
hätte vergleichen können an Gestalt, Auf-<lb/>
richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol-<lb/>
cher Freundschaft genossen, hab’ ich es<lb/>
verredet und es däucht mir unbillig zu seyn<lb/>
nach seinem Tode meine Liebe einem an-<lb/>
dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein<lb/>
Fuſs in die Schlinge seines Verhängnisses,<lb/>
daſs er schleunigst ins Grab muſste. Ich<lb/>
habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als<lb/>
ein Wächter gesessen und gelegen und gar<lb/>
viele Trauerlieder über seinen Tod und<lb/>
unser Scheiden ausgesprochen, welche mir<lb/>
und andern noch immer rührend bleiben.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#g">Buch der Parabeln</hi>. Obgleich die<lb/>
westlichen Nationen vom Reichthum des<lb/>
Orients sich vieles zugeeignet, so wird<lb/>
sich doch hier noch manches einzuerndten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[418[420]/0430]
gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei-
nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft
war von meines ganzen Lebens-Wandel
und Handel der beste Gewinn. Ich halte
davor, daſs keiner unter den Menschen,
(unter den Engeln möchte es allenfalls
seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm
hätte vergleichen können an Gestalt, Auf-
richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol-
cher Freundschaft genossen, hab’ ich es
verredet und es däucht mir unbillig zu seyn
nach seinem Tode meine Liebe einem an-
dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein
Fuſs in die Schlinge seines Verhängnisses,
daſs er schleunigst ins Grab muſste. Ich
habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als
ein Wächter gesessen und gelegen und gar
viele Trauerlieder über seinen Tod und
unser Scheiden ausgesprochen, welche mir
und andern noch immer rührend bleiben.“
Buch der Parabeln. Obgleich die
westlichen Nationen vom Reichthum des
Orients sich vieles zugeeignet, so wird
sich doch hier noch manches einzuerndten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 418[420]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/430>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.