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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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les nach Tagereisen gerechnet und nicht
wenigen.

Nun zieht, vom Kaiser beauftragt, der
Reisende nach andern Gegenden; er führt
uns durch unübersehbare Wüsten, dann zu
heerdenreichen Gauen, Bergreihen hinan,
zu Menschen von wunderbaren Gestalten
und Sitten, und lässt uns zuletzt, über Eis
und Schnee, nach der ewigen Nacht des
Poles hinschauen. Dann auf einmal trägt
er uns, wie auf einem Zaubermantel, über
die Halbinsel Indiens hinab. Wir sehen
Ceylon unter uns liegen, Madagascar, Java;
unser Blick irrt auf wunderlich benamste
Inseln, und doch lässt er uns überall von
Menschengestalten und Sitten, von Land-
schaft, Bäumen, Pflanzen und Thieren, so
manche Besonderheit erkennen, die für die
Wahrheit seiner Anschauung bürgt, wenn
gleich Vieles mährchenhaft erscheinen möch-
te. Nur der wohlunterrichtete Geograph
könnte dies alles ordnen und bewähren.
Wir mussten uns mit dem allgemeinen Ein-
druck begnügen; denn unsern ersten Stu-
dien kamen keine Noten und Bemerkungen
zu Hülfe.


les nach Tagereisen gerechnet und nicht
wenigen.

Nun zieht, vom Kaiser beauftragt, der
Reisende nach andern Gegenden; er führt
uns durch unübersehbare Wüsten, dann zu
heerdenreichen Gauen, Bergreihen hinan,
zu Menschen von wunderbaren Gestalten
und Sitten, und läſst uns zuletzt, über Eis
und Schnee, nach der ewigen Nacht des
Poles hinschauen. Dann auf einmal trägt
er uns, wie auf einem Zaubermantel, über
die Halbinsel Indiens hinab. Wir sehen
Ceylon unter uns liegen, Madagascar, Java;
unser Blick irrt auf wunderlich benamste
Inseln, und doch läſst er uns überall von
Menschengestalten und Sitten, von Land-
schaft, Bäumen, Pflanzen und Thieren, so
manche Besonderheit erkennen, die für die
Wahrheit seiner Anschauung bürgt, wenn
gleich Vieles mährchenhaft erscheinen möch-
te. Nur der wohlunterrichtete Geograph
könnte dies alles ordnen und bewähren.
Wir muſsten uns mit dem allgemeinen Ein-
druck begnügen; denn unsern ersten Stu-
dien kamen keine Noten und Bemerkungen
zu Hülfe.


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[464[466]/0476] les nach Tagereisen gerechnet und nicht wenigen. Nun zieht, vom Kaiser beauftragt, der Reisende nach andern Gegenden; er führt uns durch unübersehbare Wüsten, dann zu heerdenreichen Gauen, Bergreihen hinan, zu Menschen von wunderbaren Gestalten und Sitten, und läſst uns zuletzt, über Eis und Schnee, nach der ewigen Nacht des Poles hinschauen. Dann auf einmal trägt er uns, wie auf einem Zaubermantel, über die Halbinsel Indiens hinab. Wir sehen Ceylon unter uns liegen, Madagascar, Java; unser Blick irrt auf wunderlich benamste Inseln, und doch läſst er uns überall von Menschengestalten und Sitten, von Land- schaft, Bäumen, Pflanzen und Thieren, so manche Besonderheit erkennen, die für die Wahrheit seiner Anschauung bürgt, wenn gleich Vieles mährchenhaft erscheinen möch- te. Nur der wohlunterrichtete Geograph könnte dies alles ordnen und bewähren. Wir muſsten uns mit dem allgemeinen Ein- druck begnügen; denn unsern ersten Stu- dien kamen keine Noten und Bemerkungen zu Hülfe.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 464[466]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/476>, abgerufen am 22.12.2024.