selbst und muss, von aussen nicht gewarnt, nach dem völlig Gränzenlosen streben. Wir finden hiedurch das Räthsel gelös't wie aus einem löblichen jungen Fürsten, dessen erste Regierungsjahre gesegnet wurden, sich nach und nach ein Tyrann entwickelt, der Welt zum Fluch, und zum Untergang der Seinen; die auch desshalb öfters dieser Qual eine gewaltsame Heilung zu verschaffen ge- nöthigt sind.
Unglücklicherweise nun wird jenes, dem Menschen eingeborne, alle Tugenden be- fördernde Streben ins Unbedingte seiner Wirkung nach schrecklicher wenn physi- sche Reize sich dazu gesellen. Hieraus entsteht die höchste Steigerung, welche glücklicherweise zuletzt in völlige Betäu- bung sich auflös't. Wir meynen den über- mässigen Gebrauch des Weins, welcher die geringe Gränze einer besonnenen Gerechtig- keit und Billigkeit, die selbst der Tyrann als Mensch nicht ganz verneinen kann, au- genblicklich durchbricht und ein gränzenlo- ses Unheil anrichtet. Wende man das Ge- sagte auf Abbas den Grossen an, der durch seine funfzigjährige Regierung sich zum
selbst und muſs, von auſsen nicht gewarnt, nach dem völlig Gränzenlosen streben. Wir finden hiedurch das Räthsel gelös’t wie aus einem löblichen jungen Fürsten, dessen erste Regierungsjahre gesegnet wurden, sich nach und nach ein Tyrann entwickelt, der Welt zum Fluch, und zum Untergang der Seinen; die auch deſshalb öfters dieser Qual eine gewaltsame Heilung zu verschaffen ge- nöthigt sind.
Unglücklicherweise nun wird jenes, dem Menschen eingeborne, alle Tugenden be- fördernde Streben ins Unbedingte seiner Wirkung nach schrecklicher wenn physi- sche Reize sich dazu gesellen. Hieraus entsteht die höchste Steigerung, welche glücklicherweise zuletzt in völlige Betäu- bung sich auflös’t. Wir meynen den über- mäſsigen Gebrauch des Weins, welcher die geringe Gränze einer besonnenen Gerechtig- keit und Billigkeit, die selbst der Tyrann als Mensch nicht ganz verneinen kann, au- genblicklich durchbricht und ein gränzenlo- ses Unheil anrichtet. Wende man das Ge- sagte auf Abbas den Groſsen an, der durch seine funfzigjährige Regierung sich zum
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[487[489]/0499]
selbst und muſs, von auſsen nicht gewarnt,
nach dem völlig Gränzenlosen streben. Wir
finden hiedurch das Räthsel gelös’t wie
aus einem löblichen jungen Fürsten, dessen
erste Regierungsjahre gesegnet wurden, sich
nach und nach ein Tyrann entwickelt, der
Welt zum Fluch, und zum Untergang der
Seinen; die auch deſshalb öfters dieser Qual
eine gewaltsame Heilung zu verschaffen ge-
nöthigt sind.
Unglücklicherweise nun wird jenes, dem
Menschen eingeborne, alle Tugenden be-
fördernde Streben ins Unbedingte seiner
Wirkung nach schrecklicher wenn physi-
sche Reize sich dazu gesellen. Hieraus
entsteht die höchste Steigerung, welche
glücklicherweise zuletzt in völlige Betäu-
bung sich auflös’t. Wir meynen den über-
mäſsigen Gebrauch des Weins, welcher die
geringe Gränze einer besonnenen Gerechtig-
keit und Billigkeit, die selbst der Tyrann
als Mensch nicht ganz verneinen kann, au-
genblicklich durchbricht und ein gränzenlo-
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 487[489]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/499>, abgerufen am 22.12.2024.
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