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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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Er, nach ächter englischer Bildungs-
weise, in griechischer und lateinischer Li-
teratur dergestalt gegründet, dass er nicht
allein die Producte derselben zu würdern,
sondern auch selbst in diesen Sprachen zu
arbeiten weiss, mit den europäischen Lite-
raturen gleichfalls bekannt, in den orien-
talischen bewandert, erfreut er sich der
doppelt schönen Gabe, einmal eine jede
Nation in ihren eigensten Verdiensten zu
schätzen, sodann aber das Schöne und Gute
worin sie sämmtlich einander nothwendig
gleichen überall aufzufinden.

Bey der Mittheilung seiner Einsichten
jedoch findet er manche Schwierigkeit, vor-
züglich stellt sich ihm die Vorliebe seiner
Nation für alte classische Literatur entge-
gen und wenn man ihn genau beobachtet,
so wird man leicht gewahr dass er, als ein
kluger Mann, das Unbekannte ans Be-
kannte, das Schätzenswerthe an das Ge-
schätzte anzuschliessen sucht; er verschleyert
seine Vorliebe für asiatische Dichtkunst
und giebt mit gewandter Bescheidenheit
meistens solche Beyspiele, die er lateinischen
und griechischen hochbelobten Gedichten

Er, nach ächter englischer Bildungs-
weise, in griechischer und lateinischer Li-
teratur dergestalt gegründet, daſs er nicht
allein die Producte derselben zu würdern,
sondern auch selbst in diesen Sprachen zu
arbeiten weiſs, mit den europäischen Lite-
raturen gleichfalls bekannt, in den orien-
talischen bewandert, erfreut er sich der
doppelt schönen Gabe, einmal eine jede
Nation in ihren eigensten Verdiensten zu
schätzen, sodann aber das Schöne und Gute
worin sie sämmtlich einander nothwendig
gleichen überall aufzufinden.

Bey der Mittheilung seiner Einsichten
jedoch findet er manche Schwierigkeit, vor-
züglich stellt sich ihm die Vorliebe seiner
Nation für alte classische Literatur entge-
gen und wenn man ihn genau beobachtet,
so wird man leicht gewahr daſs er, als ein
kluger Mann, das Unbekannte ans Be-
kannte, das Schätzenswerthe an das Ge-
schätzte anzuschlieſsen sucht; er verschleyert
seine Vorliebe für asiatische Dichtkunst
und giebt mit gewandter Bescheidenheit
meistens solche Beyspiele, die er lateinischen
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[506/0516] Er, nach ächter englischer Bildungs- weise, in griechischer und lateinischer Li- teratur dergestalt gegründet, daſs er nicht allein die Producte derselben zu würdern, sondern auch selbst in diesen Sprachen zu arbeiten weiſs, mit den europäischen Lite- raturen gleichfalls bekannt, in den orien- talischen bewandert, erfreut er sich der doppelt schönen Gabe, einmal eine jede Nation in ihren eigensten Verdiensten zu schätzen, sodann aber das Schöne und Gute worin sie sämmtlich einander nothwendig gleichen überall aufzufinden. Bey der Mittheilung seiner Einsichten jedoch findet er manche Schwierigkeit, vor- züglich stellt sich ihm die Vorliebe seiner Nation für alte classische Literatur entge- gen und wenn man ihn genau beobachtet, so wird man leicht gewahr daſs er, als ein kluger Mann, das Unbekannte ans Be- kannte, das Schätzenswerthe an das Ge- schätzte anzuschlieſsen sucht; er verschleyert seine Vorliebe für asiatische Dichtkunst und giebt mit gewandter Bescheidenheit meistens solche Beyspiele, die er lateinischen und griechischen hochbelobten Gedichten

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/516>, abgerufen am 22.12.2024.