Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
800.

Durch eine ähnliche alcalische Behandlung entsteht
das Karmesin, eine Farbe, die den Franzosen sehr
verhaßt seyn muß, da sie die Ausdrücke sot en cra-
moisi, mechant en cramoisi
als das Aeußerste des
Abgeschmackten und Bösen bezeichnen.


Grün.

801.

Wenn man Gelb und Blau, welche wir als die
ersten und einfachsten Farben ansehen, gleich bey ih-
rem ersten Erscheinen, auf der ersten Stufe ihrer Wir-
kung zusammenbringt, so entsteht diejenige Farbe, wel-
che wir Grün nennen.

802.

Unser Auge findet in derselben eine reale Befrie-
digung. Wenn beyde Mutterfarben sich in der Mi-
schung genau das Gleichgewicht halten, dergestalt,
daß keine vor der andern bemerklich ist, so ruht das
Auge und das Gemüth auf diesem Gemischten wie
auf einem Einfachen. Man will nicht weiter und
man kann nicht weiter. Deswegen für Zimmer, in
denen man sich immer befindet, die grüne Farbe
zur Tapete meist gewählt wird.


800.

Durch eine aͤhnliche alcaliſche Behandlung entſteht
das Karmeſin, eine Farbe, die den Franzoſen ſehr
verhaßt ſeyn muß, da ſie die Ausdruͤcke sot en cra-
moisi, méchant en cramoisi
als das Aeußerſte des
Abgeſchmackten und Boͤſen bezeichnen.


Gruͤn.

801.

Wenn man Gelb und Blau, welche wir als die
erſten und einfachſten Farben anſehen, gleich bey ih-
rem erſten Erſcheinen, auf der erſten Stufe ihrer Wir-
kung zuſammenbringt, ſo entſteht diejenige Farbe, wel-
che wir Gruͤn nennen.

802.

Unſer Auge findet in derſelben eine reale Befrie-
digung. Wenn beyde Mutterfarben ſich in der Mi-
ſchung genau das Gleichgewicht halten, dergeſtalt,
daß keine vor der andern bemerklich iſt, ſo ruht das
Auge und das Gemuͤth auf dieſem Gemiſchten wie
auf einem Einfachen. Man will nicht weiter und
man kann nicht weiter. Deswegen fuͤr Zimmer, in
denen man ſich immer befindet, die gruͤne Farbe
zur Tapete meiſt gewaͤhlt wird.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0354" n="300"/>
            <div n="4">
              <head>800.</head><lb/>
              <p>Durch eine a&#x0364;hnliche alcali&#x017F;che Behandlung ent&#x017F;teht<lb/>
das Karme&#x017F;in, eine Farbe, die den Franzo&#x017F;en &#x017F;ehr<lb/>
verhaßt &#x017F;eyn muß, da &#x017F;ie die Ausdru&#x0364;cke <hi rendition="#aq">sot en cra-<lb/>
moisi, méchant en cramoisi</hi> als das Aeußer&#x017F;te des<lb/>
Abge&#x017F;chmackten und Bo&#x0364;&#x017F;en bezeichnen.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Gru&#x0364;n</hi>.</hi> </head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <head>801.</head><lb/>
              <p>Wenn man Gelb und Blau, welche wir als die<lb/>
er&#x017F;ten und einfach&#x017F;ten Farben an&#x017F;ehen, gleich bey ih-<lb/>
rem er&#x017F;ten Er&#x017F;cheinen, auf der er&#x017F;ten Stufe ihrer Wir-<lb/>
kung zu&#x017F;ammenbringt, &#x017F;o ent&#x017F;teht diejenige Farbe, wel-<lb/>
che wir Gru&#x0364;n nennen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>802.</head><lb/>
              <p>Un&#x017F;er Auge findet in der&#x017F;elben eine reale Befrie-<lb/>
digung. Wenn beyde Mutterfarben &#x017F;ich in der Mi-<lb/>
&#x017F;chung genau das Gleichgewicht halten, derge&#x017F;talt,<lb/>
daß keine vor der andern bemerklich i&#x017F;t, &#x017F;o ruht das<lb/>
Auge und das Gemu&#x0364;th auf die&#x017F;em Gemi&#x017F;chten wie<lb/>
auf einem Einfachen. Man will nicht weiter und<lb/>
man kann nicht weiter. Deswegen fu&#x0364;r Zimmer, in<lb/>
denen man &#x017F;ich immer befindet, die gru&#x0364;ne Farbe<lb/>
zur Tapete mei&#x017F;t gewa&#x0364;hlt wird.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0354] 800. Durch eine aͤhnliche alcaliſche Behandlung entſteht das Karmeſin, eine Farbe, die den Franzoſen ſehr verhaßt ſeyn muß, da ſie die Ausdruͤcke sot en cra- moisi, méchant en cramoisi als das Aeußerſte des Abgeſchmackten und Boͤſen bezeichnen. Gruͤn. 801. Wenn man Gelb und Blau, welche wir als die erſten und einfachſten Farben anſehen, gleich bey ih- rem erſten Erſcheinen, auf der erſten Stufe ihrer Wir- kung zuſammenbringt, ſo entſteht diejenige Farbe, wel- che wir Gruͤn nennen. 802. Unſer Auge findet in derſelben eine reale Befrie- digung. Wenn beyde Mutterfarben ſich in der Mi- ſchung genau das Gleichgewicht halten, dergeſtalt, daß keine vor der andern bemerklich iſt, ſo ruht das Auge und das Gemuͤth auf dieſem Gemiſchten wie auf einem Einfachen. Man will nicht weiter und man kann nicht weiter. Deswegen fuͤr Zimmer, in denen man ſich immer befindet, die gruͤne Farbe zur Tapete meiſt gewaͤhlt wird.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/354
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/354>, abgerufen am 23.12.2024.