Schreiten wir nun in Erinnerung dessen, was wir oben vorwortlich beygebracht, weiter vor. Dort setzten wir das Licht als anerkannt voraus, hier thun wir ein gleiches mit dem Auge. Wir sagten: die ganze Natur offenbare sich durch die Farbe dem Sinne des Auges. Nunmehr behaup- ten wir, wenn es auch einigermaßen sonderbar klin- gen mag, daß das Auge keine Form sehe, indem Hell, Dunkel und Farbe zusammen allein dasjenige ausmachen, was den Gegenstand vom Gegenstand, die Theile des Gegenstandes von einander, fürs Auge unterscheidet. Und so erbauen wir aus die- sen Dreyen die sichtbare Welt und machen dadurch zugleich die Malerey möglich, welche auf der Tafel eine weit vollkommner sichtbare Welt als die wirk- liche seyn kann, hervorzubringen vermag.
Das Auge hat sein Daseyn dem Licht zu dan- ken. Aus gleichgültigen thierischen Hülfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seines gleichen werde; und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äuße- ren entgegentrete.
Hierbey erinnern wir uns der alten ionischen Schule, welche mit so großer Bedeutsamkeit immer
Schreiten wir nun in Erinnerung deſſen, was wir oben vorwortlich beygebracht, weiter vor. Dort ſetzten wir das Licht als anerkannt voraus, hier thun wir ein gleiches mit dem Auge. Wir ſagten: die ganze Natur offenbare ſich durch die Farbe dem Sinne des Auges. Nunmehr behaup- ten wir, wenn es auch einigermaßen ſonderbar klin- gen mag, daß das Auge keine Form ſehe, indem Hell, Dunkel und Farbe zuſammen allein dasjenige ausmachen, was den Gegenſtand vom Gegenſtand, die Theile des Gegenſtandes von einander, fuͤrs Auge unterſcheidet. Und ſo erbauen wir aus die- ſen Dreyen die ſichtbare Welt und machen dadurch zugleich die Malerey moͤglich, welche auf der Tafel eine weit vollkommner ſichtbare Welt als die wirk- liche ſeyn kann, hervorzubringen vermag.
Das Auge hat ſein Daſeyn dem Licht zu dan- ken. Aus gleichguͤltigen thieriſchen Huͤlfsorganen ruft ſich das Licht ein Organ hervor, das ſeines gleichen werde; und ſo bildet ſich das Auge am Lichte fuͤrs Licht, damit das innere Licht dem aͤuße- ren entgegentrete.
Hierbey erinnern wir uns der alten ioniſchen Schule, welche mit ſo großer Bedeutſamkeit immer
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[XXXVII/0043]
Schreiten wir nun in Erinnerung deſſen, was
wir oben vorwortlich beygebracht, weiter vor.
Dort ſetzten wir das Licht als anerkannt voraus,
hier thun wir ein gleiches mit dem Auge. Wir
ſagten: die ganze Natur offenbare ſich durch die
Farbe dem Sinne des Auges. Nunmehr behaup-
ten wir, wenn es auch einigermaßen ſonderbar klin-
gen mag, daß das Auge keine Form ſehe, indem
Hell, Dunkel und Farbe zuſammen allein dasjenige
ausmachen, was den Gegenſtand vom Gegenſtand,
die Theile des Gegenſtandes von einander, fuͤrs
Auge unterſcheidet. Und ſo erbauen wir aus die-
ſen Dreyen die ſichtbare Welt und machen dadurch
zugleich die Malerey moͤglich, welche auf der Tafel
eine weit vollkommner ſichtbare Welt als die wirk-
liche ſeyn kann, hervorzubringen vermag.
Das Auge hat ſein Daſeyn dem Licht zu dan-
ken. Aus gleichguͤltigen thieriſchen Huͤlfsorganen
ruft ſich das Licht ein Organ hervor, das ſeines
gleichen werde; und ſo bildet ſich das Auge am
Lichte fuͤrs Licht, damit das innere Licht dem aͤuße-
ren entgegentrete.
Hierbey erinnern wir uns der alten ioniſchen
Schule, welche mit ſo großer Bedeutſamkeit immer
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. XXXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/43>, abgerufen am 22.12.2024.
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