Nachbildung aller sichtbaren Gegenstände genugsam hin- reichender Farben, mögen die Künstler dieser Zeit ge- wesen seyn. Als berühmte Männer, die also wahr- scheinlich Steigerer und Erweiterer der Malerey gewe- sen, nennt Plinius in der neunzigsten Olympiade den Aglaophon, vermuthlich einen andern als den Vater des Polygnot; ferner Cephissodorus und Evenor, dessen Sohn und Schüler Parrhasius war. Worin aber eigentlich ihre Verdienste und die von ihnen be- wirkten Fortschritte der Kunst bestanden haben, wird nicht gemeldet. Jedoch finden wir Ursache zu glau- ben, daß von ihnen, wo nicht die ganz ersten, doch wenigstens die allmählig besser gelungenen Versuche, Licht und Schatten anzudeuten, gemacht worden. Hierzu scheint uns die Erwähnung verschiedener Um- stände zu berechtigen.
Denn erstlich ist, nach vorhin geschehenen Andeu- tungen, die Zeichnung schwerlich derjenige Theil ge- wesen, in welchem die erwähnten Künstler, die dem Polygnot unmittelbar folgten, eine höhere Vollkom- menheit als dieser große Meister erlangt haben. Also müssen sie, da mit ihnen eine neue Epoche der Ma- lerey anfangen soll, in irgend einem vorhin noch nicht, oder wenigstens mit geringem Erfolg, bearbeiteten Theile starke Vorschritte gemacht haben.
Nun ist, angezeigter Weise sowohl als auch der innern Nothwendigkeit nach, die Malerey vom rei- nen Umriß zu Figuren, die sich bloß durch eine ein-
Nachbildung aller ſichtbaren Gegenſtaͤnde genugſam hin- reichender Farben, moͤgen die Kuͤnſtler dieſer Zeit ge- weſen ſeyn. Als beruͤhmte Maͤnner, die alſo wahr- ſcheinlich Steigerer und Erweiterer der Malerey gewe- ſen, nennt Plinius in der neunzigſten Olympiade den Aglaophon, vermuthlich einen andern als den Vater des Polygnot; ferner Cephiſſodorus und Evenor, deſſen Sohn und Schuͤler Parrhaſius war. Worin aber eigentlich ihre Verdienſte und die von ihnen be- wirkten Fortſchritte der Kunſt beſtanden haben, wird nicht gemeldet. Jedoch finden wir Urſache zu glau- ben, daß von ihnen, wo nicht die ganz erſten, doch wenigſtens die allmaͤhlig beſſer gelungenen Verſuche, Licht und Schatten anzudeuten, gemacht worden. Hierzu ſcheint uns die Erwaͤhnung verſchiedener Um- ſtaͤnde zu berechtigen.
Denn erſtlich iſt, nach vorhin geſchehenen Andeu- tungen, die Zeichnung ſchwerlich derjenige Theil ge- weſen, in welchem die erwaͤhnten Kuͤnſtler, die dem Polygnot unmittelbar folgten, eine hoͤhere Vollkom- menheit als dieſer große Meiſter erlangt haben. Alſo muͤſſen ſie, da mit ihnen eine neue Epoche der Ma- lerey anfangen ſoll, in irgend einem vorhin noch nicht, oder wenigſtens mit geringem Erfolg, bearbeiteten Theile ſtarke Vorſchritte gemacht haben.
Nun iſt, angezeigter Weiſe ſowohl als auch der innern Nothwendigkeit nach, die Malerey vom rei- nen Umriß zu Figuren, die ſich bloß durch eine ein-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0112"n="78"/>
Nachbildung aller ſichtbaren Gegenſtaͤnde genugſam hin-<lb/>
reichender Farben, moͤgen die Kuͤnſtler dieſer Zeit ge-<lb/>
weſen ſeyn. Als beruͤhmte Maͤnner, die alſo wahr-<lb/>ſcheinlich Steigerer und Erweiterer der Malerey gewe-<lb/>ſen, nennt Plinius in der neunzigſten Olympiade den<lb/>
Aglaophon, vermuthlich einen andern als den Vater<lb/>
des Polygnot; ferner Cephiſſodorus und Evenor,<lb/>
deſſen Sohn und Schuͤler Parrhaſius war. Worin<lb/>
aber eigentlich ihre Verdienſte und die von ihnen be-<lb/>
wirkten Fortſchritte der Kunſt beſtanden haben, wird<lb/>
nicht gemeldet. Jedoch finden wir Urſache zu glau-<lb/>
ben, daß von ihnen, wo nicht die ganz erſten, doch<lb/>
wenigſtens die allmaͤhlig beſſer gelungenen Verſuche,<lb/>
Licht und Schatten anzudeuten, gemacht worden.<lb/>
Hierzu ſcheint uns die Erwaͤhnung verſchiedener Um-<lb/>ſtaͤnde zu berechtigen.</p><lb/><p>Denn erſtlich iſt, nach vorhin geſchehenen Andeu-<lb/>
tungen, die Zeichnung ſchwerlich derjenige Theil ge-<lb/>
weſen, in welchem die erwaͤhnten Kuͤnſtler, die dem<lb/>
Polygnot unmittelbar folgten, eine hoͤhere Vollkom-<lb/>
menheit als dieſer große Meiſter erlangt haben. Alſo<lb/>
muͤſſen ſie, da mit ihnen eine neue Epoche der Ma-<lb/>
lerey anfangen ſoll, in irgend einem vorhin noch nicht,<lb/>
oder wenigſtens mit geringem Erfolg, bearbeiteten<lb/>
Theile ſtarke Vorſchritte gemacht haben.</p><lb/><p>Nun iſt, angezeigter Weiſe ſowohl als auch der<lb/>
innern Nothwendigkeit nach, die Malerey vom rei-<lb/>
nen Umriß zu Figuren, die ſich bloß durch eine ein-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[78/0112]
Nachbildung aller ſichtbaren Gegenſtaͤnde genugſam hin-
reichender Farben, moͤgen die Kuͤnſtler dieſer Zeit ge-
weſen ſeyn. Als beruͤhmte Maͤnner, die alſo wahr-
ſcheinlich Steigerer und Erweiterer der Malerey gewe-
ſen, nennt Plinius in der neunzigſten Olympiade den
Aglaophon, vermuthlich einen andern als den Vater
des Polygnot; ferner Cephiſſodorus und Evenor,
deſſen Sohn und Schuͤler Parrhaſius war. Worin
aber eigentlich ihre Verdienſte und die von ihnen be-
wirkten Fortſchritte der Kunſt beſtanden haben, wird
nicht gemeldet. Jedoch finden wir Urſache zu glau-
ben, daß von ihnen, wo nicht die ganz erſten, doch
wenigſtens die allmaͤhlig beſſer gelungenen Verſuche,
Licht und Schatten anzudeuten, gemacht worden.
Hierzu ſcheint uns die Erwaͤhnung verſchiedener Um-
ſtaͤnde zu berechtigen.
Denn erſtlich iſt, nach vorhin geſchehenen Andeu-
tungen, die Zeichnung ſchwerlich derjenige Theil ge-
weſen, in welchem die erwaͤhnten Kuͤnſtler, die dem
Polygnot unmittelbar folgten, eine hoͤhere Vollkom-
menheit als dieſer große Meiſter erlangt haben. Alſo
muͤſſen ſie, da mit ihnen eine neue Epoche der Ma-
lerey anfangen ſoll, in irgend einem vorhin noch nicht,
oder wenigſtens mit geringem Erfolg, bearbeiteten
Theile ſtarke Vorſchritte gemacht haben.
Nun iſt, angezeigter Weiſe ſowohl als auch der
innern Nothwendigkeit nach, die Malerey vom rei-
nen Umriß zu Figuren, die ſich bloß durch eine ein-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/112>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.