So bestimmt auch Plinius im Ganzen an dieser Stelle zu seyn scheint, so kann man doch unmöglich seinen Bericht buchstäblich auslegen, weil offenbare Schwierigkeiten, ja Widersprüche daraus entstehen würden. Die angeführte Stelle kann demnach schwer- lich eine andere als die allgemeine Bedeutung haben: daß die großen Meister des Colorits in Griechenland -- denn ohne Zweifel sind diese vorhingenannten in dieser besondern Rücksicht aufgeführt worden -- sich bloß einfacher Farbenmittel bedient, aber durch ver- ständige kunstreiche Anwendung derselben nichts desto weniger große Wirkungen erzielt und den ächten Kunst- forderungen genug gethan; dahingegen die Maler zu Plinius Zeiten blendende Farben mancherley Art an- wendeten, aber das Wesentlichste der Kunst vernach- lässigten.
Man dürfte sich freylich sehr wundern in Aufzäh- lung der einfachen Farben, deren sich die größten Maler bey den Griechen zu ihren Werken bedient, das Blau ganz vergessen zu sehen. Und wenn es erweislich ist, daß zur guten Wirkung eines Gemäldes unum- gänglich die Totalität des ganzen Farbenkreises erfor- dert wird; so müßte die hohe Meynung vom Farben- spiel und von der Harmonie, welche die Verehrer des Alterthums sonst den Werken jener genannten großen Meister zuschreiben mochten, allerdings vermindert wer- den, und sie schwerlich, bey allen übrigen Vorzügen, vor dem Verdacht der Monotonie zu schützen seyn. Denn wenn sie sich keiner blauen Farbe sollten bedient
So beſtimmt auch Plinius im Ganzen an dieſer Stelle zu ſeyn ſcheint, ſo kann man doch unmoͤglich ſeinen Bericht buchſtaͤblich auslegen, weil offenbare Schwierigkeiten, ja Widerſpruͤche daraus entſtehen wuͤrden. Die angefuͤhrte Stelle kann demnach ſchwer- lich eine andere als die allgemeine Bedeutung haben: daß die großen Meiſter des Colorits in Griechenland — denn ohne Zweifel ſind dieſe vorhingenannten in dieſer beſondern Ruͤckſicht aufgefuͤhrt worden — ſich bloß einfacher Farbenmittel bedient, aber durch ver- ſtaͤndige kunſtreiche Anwendung derſelben nichts deſto weniger große Wirkungen erzielt und den aͤchten Kunſt- forderungen genug gethan; dahingegen die Maler zu Plinius Zeiten blendende Farben mancherley Art an- wendeten, aber das Weſentlichſte der Kunſt vernach- laͤſſigten.
Man duͤrfte ſich freylich ſehr wundern in Aufzaͤh- lung der einfachen Farben, deren ſich die groͤßten Maler bey den Griechen zu ihren Werken bedient, das Blau ganz vergeſſen zu ſehen. Und wenn es erweislich iſt, daß zur guten Wirkung eines Gemaͤldes unum- gaͤnglich die Totalitaͤt des ganzen Farbenkreiſes erfor- dert wird; ſo muͤßte die hohe Meynung vom Farben- ſpiel und von der Harmonie, welche die Verehrer des Alterthums ſonſt den Werken jener genannten großen Meiſter zuſchreiben mochten, allerdings vermindert wer- den, und ſie ſchwerlich, bey allen uͤbrigen Vorzuͤgen, vor dem Verdacht der Monotonie zu ſchuͤtzen ſeyn. Denn wenn ſie ſich keiner blauen Farbe ſollten bedient
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So beſtimmt auch Plinius im Ganzen an dieſer
Stelle zu ſeyn ſcheint, ſo kann man doch unmoͤglich
ſeinen Bericht buchſtaͤblich auslegen, weil offenbare
Schwierigkeiten, ja Widerſpruͤche daraus entſtehen
wuͤrden. Die angefuͤhrte Stelle kann demnach ſchwer-
lich eine andere als die allgemeine Bedeutung haben:
daß die großen Meiſter des Colorits in Griechenland
— denn ohne Zweifel ſind dieſe vorhingenannten in
dieſer beſondern Ruͤckſicht aufgefuͤhrt worden — ſich
bloß einfacher Farbenmittel bedient, aber durch ver-
ſtaͤndige kunſtreiche Anwendung derſelben nichts deſto
weniger große Wirkungen erzielt und den aͤchten Kunſt-
forderungen genug gethan; dahingegen die Maler zu
Plinius Zeiten blendende Farben mancherley Art an-
wendeten, aber das Weſentlichſte der Kunſt vernach-
laͤſſigten.
Man duͤrfte ſich freylich ſehr wundern in Aufzaͤh-
lung der einfachen Farben, deren ſich die groͤßten
Maler bey den Griechen zu ihren Werken bedient, das
Blau ganz vergeſſen zu ſehen. Und wenn es erweislich
iſt, daß zur guten Wirkung eines Gemaͤldes unum-
gaͤnglich die Totalitaͤt des ganzen Farbenkreiſes erfor-
dert wird; ſo muͤßte die hohe Meynung vom Farben-
ſpiel und von der Harmonie, welche die Verehrer des
Alterthums ſonſt den Werken jener genannten großen
Meiſter zuſchreiben mochten, allerdings vermindert wer-
den, und ſie ſchwerlich, bey allen uͤbrigen Vorzuͤgen,
vor dem Verdacht der Monotonie zu ſchuͤtzen ſeyn.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/124>, abgerufen am 21.11.2024.
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