Busen aufzuregen strebt. Was er sich im Einzelnen von irdischem Wissen zueignet, schmilzt, ja man kann sagen, verdampft in seiner Methode, in seinem Vor- trag.
Aristoteles hingegen steht zu der Welt wie ein Mann, ein baumeisterlicher. Er ist nun einmal hier und soll hier wirken und schaffen. Er erkundigt sich nach dem Boden, aber nicht weiter als bis er Grund findet. Von da bis zum Mittelpunct der Erde ist ihm das Uebrige gleichgültig. Er umzieht einen ungeheuren Grundkreis für sein Gebäude, schafft Materialien von allen Seiten her, ordnet sie, schichtet sie auf und steigt so in regelmäßiger Form pyramidenartig in die Höhe, wenn Plato, einem Obelisken, ja einer spitzen Flamme gleich, den Himmel sucht.
Wenn ein Paar solcher Männer, die sich gewisser- maßen in die Menschheit theilten, als getrennte Re- präsentanten herrlicher nicht leicht zu vereinender Eigen- schaften auftraten; wenn sie das Glück hatten, sich voll- kommen auszubilden, das an ihnen Ausgebildete voll- kommen auszusprechen, und nicht etwa in kurzen lako- nischen Sätzen gleich Orakelsprüchen, sondern in aus- führlichen, ausgeführten, mannigfaltigen Werken; wenn diese Werke zum Besten der Menschheit übrig blieben, und immerfort mehr oder weniger studirt und betrachtet wurden: so folgt natürlich, daß die Welt, insofern sie als empfindend und denkend anzusehen ist, genöthigt war, sich Einem oder dem Andern hinzuge-
Buſen aufzuregen ſtrebt. Was er ſich im Einzelnen von irdiſchem Wiſſen zueignet, ſchmilzt, ja man kann ſagen, verdampft in ſeiner Methode, in ſeinem Vor- trag.
Ariſtoteles hingegen ſteht zu der Welt wie ein Mann, ein baumeiſterlicher. Er iſt nun einmal hier und ſoll hier wirken und ſchaffen. Er erkundigt ſich nach dem Boden, aber nicht weiter als bis er Grund findet. Von da bis zum Mittelpunct der Erde iſt ihm das Uebrige gleichguͤltig. Er umzieht einen ungeheuren Grundkreis fuͤr ſein Gebaͤude, ſchafft Materialien von allen Seiten her, ordnet ſie, ſchichtet ſie auf und ſteigt ſo in regelmaͤßiger Form pyramidenartig in die Hoͤhe, wenn Plato, einem Obelisken, ja einer ſpitzen Flamme gleich, den Himmel ſucht.
Wenn ein Paar ſolcher Maͤnner, die ſich gewiſſer- maßen in die Menſchheit theilten, als getrennte Re- praͤſentanten herrlicher nicht leicht zu vereinender Eigen- ſchaften auftraten; wenn ſie das Gluͤck hatten, ſich voll- kommen auszubilden, das an ihnen Ausgebildete voll- kommen auszuſprechen, und nicht etwa in kurzen lako- niſchen Saͤtzen gleich Orakelſpruͤchen, ſondern in aus- fuͤhrlichen, ausgefuͤhrten, mannigfaltigen Werken; wenn dieſe Werke zum Beſten der Menſchheit uͤbrig blieben, und immerfort mehr oder weniger ſtudirt und betrachtet wurden: ſo folgt natuͤrlich, daß die Welt, inſofern ſie als empfindend und denkend anzuſehen iſt, genoͤthigt war, ſich Einem oder dem Andern hinzuge-
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Buſen aufzuregen ſtrebt. Was er ſich im Einzelnen
von irdiſchem Wiſſen zueignet, ſchmilzt, ja man kann
ſagen, verdampft in ſeiner Methode, in ſeinem Vor-
trag.
Ariſtoteles hingegen ſteht zu der Welt wie ein
Mann, ein baumeiſterlicher. Er iſt nun einmal hier
und ſoll hier wirken und ſchaffen. Er erkundigt ſich
nach dem Boden, aber nicht weiter als bis er Grund
findet. Von da bis zum Mittelpunct der Erde iſt ihm
das Uebrige gleichguͤltig. Er umzieht einen ungeheuren
Grundkreis fuͤr ſein Gebaͤude, ſchafft Materialien von
allen Seiten her, ordnet ſie, ſchichtet ſie auf und ſteigt
ſo in regelmaͤßiger Form pyramidenartig in die Hoͤhe,
wenn Plato, einem Obelisken, ja einer ſpitzen Flamme
gleich, den Himmel ſucht.
Wenn ein Paar ſolcher Maͤnner, die ſich gewiſſer-
maßen in die Menſchheit theilten, als getrennte Re-
praͤſentanten herrlicher nicht leicht zu vereinender Eigen-
ſchaften auftraten; wenn ſie das Gluͤck hatten, ſich voll-
kommen auszubilden, das an ihnen Ausgebildete voll-
kommen auszuſprechen, und nicht etwa in kurzen lako-
niſchen Saͤtzen gleich Orakelſpruͤchen, ſondern in aus-
fuͤhrlichen, ausgefuͤhrten, mannigfaltigen Werken;
wenn dieſe Werke zum Beſten der Menſchheit uͤbrig
blieben, und immerfort mehr oder weniger ſtudirt und
betrachtet wurden: ſo folgt natuͤrlich, daß die Welt,
inſofern ſie als empfindend und denkend anzuſehen iſt,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/175>, abgerufen am 21.11.2024.
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