hohen Ideen in sich zu erregen und für die Ewigkeit zu cultiviren; so wäre es doch auch gar zu wünschens- werth, sich ihrer irdischen Repräsentanten für die Zeit zu bemächtigen. Ja diese Wünsche müssen leiden- schaftlich in der menschlichen Natur gleichsam wüthen und können nur durch die höchste Bildung ins Gleich- gewicht gebracht werden. Was wir auf solche Weise wünschen, halten wir gern für möglich; wir suchen es auf alle Weise, und derjenige, der es uns zu lie- fern verspricht, wird unbedingt begünstigt.
Daß sich hierbey die Einbildungskraft sogleich thätig erzeige, läßt sich erwarten. Jene drey obersten Erfordernisse zur höchsten irdischen Glückseligkeit schei- nen so nahe verwandt, daß man ganz natürlich fin- det, sie auch durch ein einziges Mittel erreichen zu können. Es führt zu sehr angenehmen Betrachtungen, wenn man den poetischen Theil der Alchymie, wie wir ihn wohl nennen dürfen, mit freyem Geiste behandelt. Wir finden ein aus allgemeinen Begriffen entspringen- des auf einen gehörigen Naturgrund aufgebautes Mähr- chen.
Etwas Materielles muß es seyn, aber die erste allgemeine Materie, eine jungfräuliche Erde. Wie die- se zu finden, wie sie zu bearbeiten, dieses ist die ewige Ausführung alchymischer Schriften, die mit einem un- erträglichen Einerley, wie ein anhaltendes Glockenge- läute, mehr zum Wahnsinn als zur Andacht hin- drängen.
hohen Ideen in ſich zu erregen und fuͤr die Ewigkeit zu cultiviren; ſo waͤre es doch auch gar zu wuͤnſchens- werth, ſich ihrer irdiſchen Repraͤſentanten fuͤr die Zeit zu bemaͤchtigen. Ja dieſe Wuͤnſche muͤſſen leiden- ſchaftlich in der menſchlichen Natur gleichſam wuͤthen und koͤnnen nur durch die hoͤchſte Bildung ins Gleich- gewicht gebracht werden. Was wir auf ſolche Weiſe wuͤnſchen, halten wir gern fuͤr moͤglich; wir ſuchen es auf alle Weiſe, und derjenige, der es uns zu lie- fern verſpricht, wird unbedingt beguͤnſtigt.
Daß ſich hierbey die Einbildungskraft ſogleich thaͤtig erzeige, laͤßt ſich erwarten. Jene drey oberſten Erforderniſſe zur hoͤchſten irdiſchen Gluͤckſeligkeit ſchei- nen ſo nahe verwandt, daß man ganz natuͤrlich fin- det, ſie auch durch ein einziges Mittel erreichen zu koͤnnen. Es fuͤhrt zu ſehr angenehmen Betrachtungen, wenn man den poetiſchen Theil der Alchymie, wie wir ihn wohl nennen duͤrfen, mit freyem Geiſte behandelt. Wir finden ein aus allgemeinen Begriffen entſpringen- des auf einen gehoͤrigen Naturgrund aufgebautes Maͤhr- chen.
Etwas Materielles muß es ſeyn, aber die erſte allgemeine Materie, eine jungfraͤuliche Erde. Wie die- ſe zu finden, wie ſie zu bearbeiten, dieſes iſt die ewige Ausfuͤhrung alchymiſcher Schriften, die mit einem un- ertraͤglichen Einerley, wie ein anhaltendes Glockenge- laͤute, mehr zum Wahnſinn als zur Andacht hin- draͤngen.
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[208/0242]
hohen Ideen in ſich zu erregen und fuͤr die Ewigkeit
zu cultiviren; ſo waͤre es doch auch gar zu wuͤnſchens-
werth, ſich ihrer irdiſchen Repraͤſentanten fuͤr die Zeit
zu bemaͤchtigen. Ja dieſe Wuͤnſche muͤſſen leiden-
ſchaftlich in der menſchlichen Natur gleichſam wuͤthen
und koͤnnen nur durch die hoͤchſte Bildung ins Gleich-
gewicht gebracht werden. Was wir auf ſolche Weiſe
wuͤnſchen, halten wir gern fuͤr moͤglich; wir ſuchen
es auf alle Weiſe, und derjenige, der es uns zu lie-
fern verſpricht, wird unbedingt beguͤnſtigt.
Daß ſich hierbey die Einbildungskraft ſogleich
thaͤtig erzeige, laͤßt ſich erwarten. Jene drey oberſten
Erforderniſſe zur hoͤchſten irdiſchen Gluͤckſeligkeit ſchei-
nen ſo nahe verwandt, daß man ganz natuͤrlich fin-
det, ſie auch durch ein einziges Mittel erreichen zu
koͤnnen. Es fuͤhrt zu ſehr angenehmen Betrachtungen,
wenn man den poetiſchen Theil der Alchymie, wie wir
ihn wohl nennen duͤrfen, mit freyem Geiſte behandelt.
Wir finden ein aus allgemeinen Begriffen entſpringen-
des auf einen gehoͤrigen Naturgrund aufgebautes Maͤhr-
chen.
Etwas Materielles muß es ſeyn, aber die erſte
allgemeine Materie, eine jungfraͤuliche Erde. Wie die-
ſe zu finden, wie ſie zu bearbeiten, dieſes iſt die ewige
Ausfuͤhrung alchymiſcher Schriften, die mit einem un-
ertraͤglichen Einerley, wie ein anhaltendes Glockenge-
laͤute, mehr zum Wahnſinn als zur Andacht hin-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/242>, abgerufen am 21.11.2024.
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