Calid, ein fabelhafter König von Aegypten, unter- hält sich mit einem palästinischen Einsiedler Morienus, um über das große Werk des wunderbaren Steins be- lehrt zu werden. Der König. Von der Natur und dem Wesen jenes großen Werkes hast du mir genug eröffnet, nun würdige mich auch, mir dessen Farbe zu offenbaren. Dabey möchte ich aber weder Allegorie noch Gleichnisse hören. Morienus. Es war die Art der Weisen, daß sie ihr Assos von dem Stein und mit dem Stein immer verfertigten. Dieses aber ge- schah, ehe sie damit etwas anders färbten. Assos ist ein arabischer Ausdruck und könnte lateinisch Alaun verdolmetscht werden. O guter König, Dir sey genug, was ich hier vorbringe. Laß uns zu ältern Zeugnissen zu- rückkehren, und verlangst Du ein Beyspiel, so nimm die Worte Datin des Philosophen wohl auf, denn er sagt: Unser Lato, ob er gleich zuerst roth ist, so ist er doch unnütz; wird er aber nach der Röthe ins Weiße verwandelt, so hat er großen Werth. Deswegen spricht Datin zum Euthices: O Euthices, dieses wird alles fest und wahrhaft bleiben; denn so haben die Weisen davon gesprochen: Die Schwärze haben wir weggenom- men, und nun mit dem Salz Anatron, d. i. Salpeter, und Almizadir, dessen Eigenschaft kalt und trocken ist, halten wir die Weiße fest. Deswegen geben wir ihm den Namen Borreza, welches arabisch Tinkar heißt. Das Wort aber Datin des Philosophen wird durch Hermes Wort bestätigt. Hermes aber sagt: Zuerst ist die Schwärze, nachher mit dem Salz Anatron folgt die Weiße. Zuerst war es roth und zuletzt weiß, und
Calid, ein fabelhafter Koͤnig von Aegypten, unter- haͤlt ſich mit einem palaͤſtiniſchen Einſiedler Morienus, um uͤber das große Werk des wunderbaren Steins be- lehrt zu werden. Der Koͤnig. Von der Natur und dem Weſen jenes großen Werkes haſt du mir genug eroͤffnet, nun wuͤrdige mich auch, mir deſſen Farbe zu offenbaren. Dabey moͤchte ich aber weder Allegorie noch Gleichniſſe hoͤren. Morienus. Es war die Art der Weiſen, daß ſie ihr Aſſos von dem Stein und mit dem Stein immer verfertigten. Dieſes aber ge- ſchah, ehe ſie damit etwas anders faͤrbten. Aſſos iſt ein arabiſcher Ausdruck und koͤnnte lateiniſch Alaun verdolmetſcht werden. O guter Koͤnig, Dir ſey genug, was ich hier vorbringe. Laß uns zu aͤltern Zeugniſſen zu- ruͤckkehren, und verlangſt Du ein Beyſpiel, ſo nimm die Worte Datin des Philoſophen wohl auf, denn er ſagt: Unſer Lato, ob er gleich zuerſt roth iſt, ſo iſt er doch unnuͤtz; wird er aber nach der Roͤthe ins Weiße verwandelt, ſo hat er großen Werth. Deswegen ſpricht Datin zum Euthices: O Euthices, dieſes wird alles feſt und wahrhaft bleiben; denn ſo haben die Weiſen davon geſprochen: Die Schwaͤrze haben wir weggenom- men, und nun mit dem Salz Anatron, d. i. Salpeter, und Almizadir, deſſen Eigenſchaft kalt und trocken iſt, halten wir die Weiße feſt. Deswegen geben wir ihm den Namen Borreza, welches arabiſch Tinkar heißt. Das Wort aber Datin des Philoſophen wird durch Hermes Wort beſtaͤtigt. Hermes aber ſagt: Zuerſt iſt die Schwaͤrze, nachher mit dem Salz Anatron folgt die Weiße. Zuerſt war es roth und zuletzt weiß, und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0244"n="210"/><p>Calid, ein fabelhafter Koͤnig von Aegypten, unter-<lb/>
haͤlt ſich mit einem palaͤſtiniſchen Einſiedler Morienus,<lb/>
um uͤber das große Werk des wunderbaren Steins be-<lb/>
lehrt zu werden. <hirendition="#g">Der Koͤnig</hi>. Von der Natur und<lb/>
dem Weſen jenes großen Werkes haſt du mir genug<lb/>
eroͤffnet, nun wuͤrdige mich auch, mir deſſen Farbe zu<lb/>
offenbaren. Dabey moͤchte ich aber weder Allegorie<lb/>
noch Gleichniſſe hoͤren. <hirendition="#g">Morienus</hi>. Es war die Art<lb/>
der Weiſen, daß ſie ihr Aſſos von dem Stein und<lb/>
mit dem Stein immer verfertigten. Dieſes aber ge-<lb/>ſchah, ehe ſie damit etwas anders faͤrbten. Aſſos iſt<lb/>
ein arabiſcher Ausdruck und koͤnnte lateiniſch Alaun<lb/>
verdolmetſcht werden. O guter Koͤnig, Dir ſey genug,<lb/>
was ich hier vorbringe. Laß uns zu aͤltern Zeugniſſen zu-<lb/>
ruͤckkehren, und verlangſt Du ein Beyſpiel, ſo nimm<lb/>
die Worte Datin des Philoſophen wohl auf, denn er<lb/>ſagt: Unſer Lato, ob er gleich zuerſt roth iſt, ſo iſt er<lb/>
doch unnuͤtz; wird er aber nach der Roͤthe ins Weiße<lb/>
verwandelt, ſo hat er großen Werth. Deswegen ſpricht<lb/>
Datin zum Euthices: O Euthices, dieſes wird alles<lb/>
feſt und wahrhaft bleiben; denn ſo haben die Weiſen<lb/>
davon geſprochen: Die Schwaͤrze haben wir weggenom-<lb/>
men, und nun mit dem Salz Anatron, d. i. Salpeter,<lb/>
und Almizadir, deſſen Eigenſchaft kalt und trocken iſt,<lb/>
halten wir die Weiße feſt. Deswegen geben wir ihm<lb/>
den Namen Borreza, welches arabiſch Tinkar heißt.<lb/>
Das Wort aber Datin des Philoſophen wird durch<lb/>
Hermes Wort beſtaͤtigt. Hermes aber ſagt: Zuerſt iſt<lb/>
die Schwaͤrze, nachher mit dem Salz Anatron folgt<lb/>
die Weiße. Zuerſt war es roth und zuletzt weiß, und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[210/0244]
Calid, ein fabelhafter Koͤnig von Aegypten, unter-
haͤlt ſich mit einem palaͤſtiniſchen Einſiedler Morienus,
um uͤber das große Werk des wunderbaren Steins be-
lehrt zu werden. Der Koͤnig. Von der Natur und
dem Weſen jenes großen Werkes haſt du mir genug
eroͤffnet, nun wuͤrdige mich auch, mir deſſen Farbe zu
offenbaren. Dabey moͤchte ich aber weder Allegorie
noch Gleichniſſe hoͤren. Morienus. Es war die Art
der Weiſen, daß ſie ihr Aſſos von dem Stein und
mit dem Stein immer verfertigten. Dieſes aber ge-
ſchah, ehe ſie damit etwas anders faͤrbten. Aſſos iſt
ein arabiſcher Ausdruck und koͤnnte lateiniſch Alaun
verdolmetſcht werden. O guter Koͤnig, Dir ſey genug,
was ich hier vorbringe. Laß uns zu aͤltern Zeugniſſen zu-
ruͤckkehren, und verlangſt Du ein Beyſpiel, ſo nimm
die Worte Datin des Philoſophen wohl auf, denn er
ſagt: Unſer Lato, ob er gleich zuerſt roth iſt, ſo iſt er
doch unnuͤtz; wird er aber nach der Roͤthe ins Weiße
verwandelt, ſo hat er großen Werth. Deswegen ſpricht
Datin zum Euthices: O Euthices, dieſes wird alles
feſt und wahrhaft bleiben; denn ſo haben die Weiſen
davon geſprochen: Die Schwaͤrze haben wir weggenom-
men, und nun mit dem Salz Anatron, d. i. Salpeter,
und Almizadir, deſſen Eigenſchaft kalt und trocken iſt,
halten wir die Weiße feſt. Deswegen geben wir ihm
den Namen Borreza, welches arabiſch Tinkar heißt.
Das Wort aber Datin des Philoſophen wird durch
Hermes Wort beſtaͤtigt. Hermes aber ſagt: Zuerſt iſt
die Schwaͤrze, nachher mit dem Salz Anatron folgt
die Weiße. Zuerſt war es roth und zuletzt weiß, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/244>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.