ßigen Bildung erheben; es blieb immer etwas Wildes und Verworrenes in seinen Studien, seinem Charakter und ganzen Wesen zurück. Man mag übrigens an ihm noch so vieles Tadelnswerthe finden, so muß er doch des großen Lobes theilhaft werden, daß es ihm sowohl um die äußern Dinge, als um sich selbst Ernst und zwar recht bitterer Ernst gewesen, weshalb denn auch seine Behandlung sowohl der Gegenstände als des Lebens bis an sein Ende leidenschaftlich und heftig war. Er kannte sein eigenes Naturell bis auf einen gewissen Grad, doch konnte er bis ins höchste Alter nicht darüber Herr werden. Gar oft haben wir bey ihm, seiner Umgebung und seinem Bestreben, an Cellini denken müssen, um so mehr, als beyde gleichzeitig gelebt. Auch die Biographien oder Confessionen beyder, wie man sie wohl nennen kann, treffen darin zusammen, daß die Verfasser, ob- schon mit Misbilligung, doch auch zugleich mit eini- gem Behagen von ihren Fehlern sprechen, und in ihre Reue sich immer eine Art von Selbstgefälligkeit über das Vollbrachte mit einmischt. Erinnern wir uns hie- bey noch eines jüngern Zeitgenossen, des Michael Mon- taigne, der mit einer unschätzbar heitern Wendung sei- ne persönlichen Eigenheiten, so wie die Wunderlichkeiten der Menschen überhaupt, zum Besten gibt; so findet man die Bemerkung vielleicht nicht unbedeutend, daß dasjenige, was bisher nur im Beichtstuhl als Geheim- niß dem Priester ängstlich vertraut wurde, nun mit einer Art von kühnem Zutrauen der ganzen Welt vor- gelegt ward. Eine Vergleichung der sogenannten Con- fessionen aller Zeiten würde in diesem Sinne gewiß
ßigen Bildung erheben; es blieb immer etwas Wildes und Verworrenes in ſeinen Studien, ſeinem Charakter und ganzen Weſen zuruͤck. Man mag uͤbrigens an ihm noch ſo vieles Tadelnswerthe finden, ſo muß er doch des großen Lobes theilhaft werden, daß es ihm ſowohl um die aͤußern Dinge, als um ſich ſelbſt Ernſt und zwar recht bitterer Ernſt geweſen, weshalb denn auch ſeine Behandlung ſowohl der Gegenſtaͤnde als des Lebens bis an ſein Ende leidenſchaftlich und heftig war. Er kannte ſein eigenes Naturell bis auf einen gewiſſen Grad, doch konnte er bis ins hoͤchſte Alter nicht daruͤber Herr werden. Gar oft haben wir bey ihm, ſeiner Umgebung und ſeinem Beſtreben, an Cellini denken muͤſſen, um ſo mehr, als beyde gleichzeitig gelebt. Auch die Biographien oder Confeſſionen beyder, wie man ſie wohl nennen kann, treffen darin zuſammen, daß die Verfaſſer, ob- ſchon mit Misbilligung, doch auch zugleich mit eini- gem Behagen von ihren Fehlern ſprechen, und in ihre Reue ſich immer eine Art von Selbſtgefaͤlligkeit uͤber das Vollbrachte mit einmiſcht. Erinnern wir uns hie- bey noch eines juͤngern Zeitgenoſſen, des Michael Mon- taigne, der mit einer unſchaͤtzbar heitern Wendung ſei- ne perſoͤnlichen Eigenheiten, ſo wie die Wunderlichkeiten der Menſchen uͤberhaupt, zum Beſten gibt; ſo findet man die Bemerkung vielleicht nicht unbedeutend, daß dasjenige, was bisher nur im Beichtſtuhl als Geheim- niß dem Prieſter aͤngſtlich vertraut wurde, nun mit einer Art von kuͤhnem Zutrauen der ganzen Welt vor- gelegt ward. Eine Vergleichung der ſogenannten Con- feſſionen aller Zeiten wuͤrde in dieſem Sinne gewiß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0252"n="218"/>
ßigen Bildung erheben; es blieb immer etwas Wildes<lb/>
und Verworrenes in ſeinen Studien, ſeinem Charakter<lb/>
und ganzen Weſen zuruͤck. Man mag uͤbrigens an<lb/>
ihm noch ſo vieles Tadelnswerthe finden, ſo muß er<lb/>
doch des großen Lobes theilhaft werden, daß es ihm<lb/>ſowohl um die aͤußern Dinge, als um ſich ſelbſt Ernſt<lb/>
und zwar recht bitterer Ernſt geweſen, weshalb denn<lb/>
auch ſeine Behandlung ſowohl der Gegenſtaͤnde als des<lb/>
Lebens bis an ſein Ende leidenſchaftlich und heftig war. Er<lb/>
kannte ſein eigenes Naturell bis auf einen gewiſſen Grad,<lb/>
doch konnte er bis ins hoͤchſte Alter nicht daruͤber Herr<lb/>
werden. Gar oft haben wir bey ihm, ſeiner Umgebung und<lb/>ſeinem Beſtreben, an Cellini denken muͤſſen, um ſo mehr,<lb/>
als beyde gleichzeitig gelebt. Auch die Biographien<lb/>
oder Confeſſionen beyder, wie man ſie wohl nennen<lb/>
kann, treffen darin zuſammen, daß die Verfaſſer, ob-<lb/>ſchon mit Misbilligung, doch auch zugleich mit eini-<lb/>
gem Behagen von ihren Fehlern ſprechen, und in ihre<lb/>
Reue ſich immer eine Art von Selbſtgefaͤlligkeit uͤber<lb/>
das Vollbrachte mit einmiſcht. Erinnern wir uns hie-<lb/>
bey noch eines juͤngern Zeitgenoſſen, des Michael Mon-<lb/>
taigne, der mit einer unſchaͤtzbar heitern Wendung ſei-<lb/>
ne perſoͤnlichen Eigenheiten, ſo wie die Wunderlichkeiten<lb/>
der Menſchen uͤberhaupt, zum Beſten gibt; ſo findet<lb/>
man die Bemerkung vielleicht nicht unbedeutend, daß<lb/>
dasjenige, was bisher nur im Beichtſtuhl als Geheim-<lb/>
niß dem Prieſter aͤngſtlich vertraut wurde, nun mit<lb/>
einer Art von kuͤhnem Zutrauen der ganzen Welt vor-<lb/>
gelegt ward. Eine Vergleichung der ſogenannten Con-<lb/>
feſſionen aller Zeiten wuͤrde in dieſem Sinne gewiß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[218/0252]
ßigen Bildung erheben; es blieb immer etwas Wildes
und Verworrenes in ſeinen Studien, ſeinem Charakter
und ganzen Weſen zuruͤck. Man mag uͤbrigens an
ihm noch ſo vieles Tadelnswerthe finden, ſo muß er
doch des großen Lobes theilhaft werden, daß es ihm
ſowohl um die aͤußern Dinge, als um ſich ſelbſt Ernſt
und zwar recht bitterer Ernſt geweſen, weshalb denn
auch ſeine Behandlung ſowohl der Gegenſtaͤnde als des
Lebens bis an ſein Ende leidenſchaftlich und heftig war. Er
kannte ſein eigenes Naturell bis auf einen gewiſſen Grad,
doch konnte er bis ins hoͤchſte Alter nicht daruͤber Herr
werden. Gar oft haben wir bey ihm, ſeiner Umgebung und
ſeinem Beſtreben, an Cellini denken muͤſſen, um ſo mehr,
als beyde gleichzeitig gelebt. Auch die Biographien
oder Confeſſionen beyder, wie man ſie wohl nennen
kann, treffen darin zuſammen, daß die Verfaſſer, ob-
ſchon mit Misbilligung, doch auch zugleich mit eini-
gem Behagen von ihren Fehlern ſprechen, und in ihre
Reue ſich immer eine Art von Selbſtgefaͤlligkeit uͤber
das Vollbrachte mit einmiſcht. Erinnern wir uns hie-
bey noch eines juͤngern Zeitgenoſſen, des Michael Mon-
taigne, der mit einer unſchaͤtzbar heitern Wendung ſei-
ne perſoͤnlichen Eigenheiten, ſo wie die Wunderlichkeiten
der Menſchen uͤberhaupt, zum Beſten gibt; ſo findet
man die Bemerkung vielleicht nicht unbedeutend, daß
dasjenige, was bisher nur im Beichtſtuhl als Geheim-
niß dem Prieſter aͤngſtlich vertraut wurde, nun mit
einer Art von kuͤhnem Zutrauen der ganzen Welt vor-
gelegt ward. Eine Vergleichung der ſogenannten Con-
feſſionen aller Zeiten wuͤrde in dieſem Sinne gewiß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/252>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.