und uns wohl getrost machen, als am Ziel stehend, endlich zu verharren."
"Doch man glaube nicht, daß ich stolz das verwer- fe, was durch neue Erfindungen den Wissenschaften für eine Vermehrung zuwächst: denn jenes Bemühen ist edel und mit großem Lob zu erkennen; auch bringt es jedesmal Frucht und Nutzen in der Gegenwart. Nie- mals hat der Welt ein großer Haufe solcher Menschen gefehlt, welche sich bemühen Neues aufzufinden und auszudenken; aber unsere Begriffe und Grundsätze sind immer sowohl von solchen, als von den höchsten Ge- lehrten dankbar aufgenommen worden."
Nicht leicht können sich Meynungen so schnurstracks entgegen stehen, als hier die Baconische und Bodleyi- sche, und wir möchten uns zu keiner von beyden aus- schließlich bekennen. Führt uns jene in eine unabseh- bare Weite, so will uns diese zu sehr beschränken. Denn wie von der einen Seite die Erfahrung gränzen- los ist, weil immer noch ein Neues entdeckt werden kann, so sind es die Maximen auch, indem sie nicht erstarren, die Fähigkeit nicht verlieren müssen, sich selbst auszudehnen um mehreres zu umfassen, ja sich in einer höhern Ansicht aufzuzehren und zu verlieren.
Denn wahrscheinlich versteht hier Bodley nicht et- wa die subjectiven Axiome, welche durch eine fortschrei- tende Zeit weniger Veränderung erleiden, als solche,
und uns wohl getroſt machen, als am Ziel ſtehend, endlich zu verharren.“
„Doch man glaube nicht, daß ich ſtolz das verwer- fe, was durch neue Erfindungen den Wiſſenſchaften fuͤr eine Vermehrung zuwaͤchſt: denn jenes Bemuͤhen iſt edel und mit großem Lob zu erkennen; auch bringt es jedesmal Frucht und Nutzen in der Gegenwart. Nie- mals hat der Welt ein großer Haufe ſolcher Menſchen gefehlt, welche ſich bemuͤhen Neues aufzufinden und auszudenken; aber unſere Begriffe und Grundſaͤtze ſind immer ſowohl von ſolchen, als von den hoͤchſten Ge- lehrten dankbar aufgenommen worden.“
Nicht leicht koͤnnen ſich Meynungen ſo ſchnurſtracks entgegen ſtehen, als hier die Baconiſche und Bodleyi- ſche, und wir moͤchten uns zu keiner von beyden aus- ſchließlich bekennen. Fuͤhrt uns jene in eine unabſeh- bare Weite, ſo will uns dieſe zu ſehr beſchraͤnken. Denn wie von der einen Seite die Erfahrung graͤnzen- los iſt, weil immer noch ein Neues entdeckt werden kann, ſo ſind es die Maximen auch, indem ſie nicht erſtarren, die Faͤhigkeit nicht verlieren muͤſſen, ſich ſelbſt auszudehnen um mehreres zu umfaſſen, ja ſich in einer hoͤhern Anſicht aufzuzehren und zu verlieren.
Denn wahrſcheinlich verſteht hier Bodley nicht et- wa die ſubjectiven Axiome, welche durch eine fortſchrei- tende Zeit weniger Veraͤnderung erleiden, als ſolche,
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und uns wohl getroſt machen, als am Ziel ſtehend,
endlich zu verharren.“
„Doch man glaube nicht, daß ich ſtolz das verwer-
fe, was durch neue Erfindungen den Wiſſenſchaften fuͤr
eine Vermehrung zuwaͤchſt: denn jenes Bemuͤhen iſt
edel und mit großem Lob zu erkennen; auch bringt es
jedesmal Frucht und Nutzen in der Gegenwart. Nie-
mals hat der Welt ein großer Haufe ſolcher Menſchen
gefehlt, welche ſich bemuͤhen Neues aufzufinden und
auszudenken; aber unſere Begriffe und Grundſaͤtze ſind
immer ſowohl von ſolchen, als von den hoͤchſten Ge-
lehrten dankbar aufgenommen worden.“
Nicht leicht koͤnnen ſich Meynungen ſo ſchnurſtracks
entgegen ſtehen, als hier die Baconiſche und Bodleyi-
ſche, und wir moͤchten uns zu keiner von beyden aus-
ſchließlich bekennen. Fuͤhrt uns jene in eine unabſeh-
bare Weite, ſo will uns dieſe zu ſehr beſchraͤnken.
Denn wie von der einen Seite die Erfahrung graͤnzen-
los iſt, weil immer noch ein Neues entdeckt werden
kann, ſo ſind es die Maximen auch, indem ſie nicht
erſtarren, die Faͤhigkeit nicht verlieren muͤſſen, ſich ſelbſt
auszudehnen um mehreres zu umfaſſen, ja ſich in einer
hoͤhern Anſicht aufzuzehren und zu verlieren.
Denn wahrſcheinlich verſteht hier Bodley nicht et-
wa die ſubjectiven Axiome, welche durch eine fortſchrei-
tende Zeit weniger Veraͤnderung erleiden, als ſolche,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/267>, abgerufen am 25.11.2024.
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