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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Zur Geschichte der Urzeit.

Die Zustände ungebildeter Völker, sowohl der
alten als der neuern Zeit, sind sich meistens ähnlich.
Stark in die Sinne fallende Phänomene werden leb-
haft aufgefaßt.

In dem Kreise meteorischer Erscheinungen mußte
der seltnere, unter gleichen Bedingungen immer wie-
derkehrende Regenbogen die Aufmerksamkeit der Na-
turmenschen besonders an sich ziehen. Die Frage,
woher irgend ein solches Ereigniß entspringe, ist
dem kindlichen Geiste wie dem ausgebildeten natür-
lich. Jener lös't das Räthsel bequem durch ein
phantastisches, höchstens poetisches Symbolisiren;
und so verwandelten die Griechen den Regenbogen
in ein liebliches Mädchen, eine Tochter des Thau-
mas (des Erstaunens); beydes mit Recht: denn
wir werden bey diesem Anblick das Erhabene auf
eine erfreuliche Weise gewahr. Und so ward sie die-
sem Gestalt liebenden Volke ein Individuum, Iris,

Zur Geſchichte der Urzeit.

Die Zuſtaͤnde ungebildeter Voͤlker, ſowohl der
alten als der neuern Zeit, ſind ſich meiſtens aͤhnlich.
Stark in die Sinne fallende Phaͤnomene werden leb-
haft aufgefaßt.

In dem Kreiſe meteoriſcher Erſcheinungen mußte
der ſeltnere, unter gleichen Bedingungen immer wie-
derkehrende Regenbogen die Aufmerkſamkeit der Na-
turmenſchen beſonders an ſich ziehen. Die Frage,
woher irgend ein ſolches Ereigniß entſpringe, iſt
dem kindlichen Geiſte wie dem ausgebildeten natuͤr-
lich. Jener loͤſ’t das Raͤthſel bequem durch ein
phantaſtiſches, hoͤchſtens poetiſches Symboliſiren;
und ſo verwandelten die Griechen den Regenbogen
in ein liebliches Maͤdchen, eine Tochter des Thau-
mas (des Erſtaunens); beydes mit Recht: denn
wir werden bey dieſem Anblick das Erhabene auf
eine erfreuliche Weiſe gewahr. Und ſo ward ſie die-
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[[XXIII]/0029] Zur Geſchichte der Urzeit. Die Zuſtaͤnde ungebildeter Voͤlker, ſowohl der alten als der neuern Zeit, ſind ſich meiſtens aͤhnlich. Stark in die Sinne fallende Phaͤnomene werden leb- haft aufgefaßt. In dem Kreiſe meteoriſcher Erſcheinungen mußte der ſeltnere, unter gleichen Bedingungen immer wie- derkehrende Regenbogen die Aufmerkſamkeit der Na- turmenſchen beſonders an ſich ziehen. Die Frage, woher irgend ein ſolches Ereigniß entſpringe, iſt dem kindlichen Geiſte wie dem ausgebildeten natuͤr- lich. Jener loͤſ’t das Raͤthſel bequem durch ein phantaſtiſches, hoͤchſtens poetiſches Symboliſiren; und ſo verwandelten die Griechen den Regenbogen in ein liebliches Maͤdchen, eine Tochter des Thau- mas (des Erſtaunens); beydes mit Recht: denn wir werden bey dieſem Anblick das Erhabene auf eine erfreuliche Weiſe gewahr. Und ſo ward ſie die- ſem Geſtalt liebenden Volke ein Individuum, Iris,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. [XXIII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/29>, abgerufen am 21.11.2024.