Außerordentlich zart behandelt er seine Mitlebenden, Freunde, Studiengenossen, ja sogar seine Gegner. Reizbar und voll Ehrgefühl entweicht er allen Gele- genheiten sich zu compromittiren; er verharrt im her- gebrachten Schicklichen und weiß zugleich seine Eigen- thümlichkeit auszubilden, zu erhalten und durchzuführen. Daher seine Ergebenheit unter die Aussprüche der Kir- che, sein Zaudern als Schriftsteller hervorzutreten, seine Aengstlichkeit bey den Schicksalen Galilei's, sein Suchen der Einsamkeit und zugleich seine ununter- brochne Geselligkeit durch Briefe.
Seine Avantagen als Edelmann nutzt er in jün- gern und mittlern Jahren; er besucht alle Hof-, Staats-, Kirchen- und Kriegsfeste; eine Vermählung, eine Krönung, ein Jubiläum, eine Belagerung kann ihn zu einer weiten Reise bewegen; er scheut weder Mühe, noch Aufwand, noch Gefahr, um nur alles mit Augen zu sehen, um mit seines Gleichen, die sich jedoch in ganz anderm Sinne in der Welt herumtummeln, an den merkwürdigsten Ereignissen seiner Zeit ehrenvoll Theil zu nehmen.
Wie man nun dieses Aufsuchen einer unendlichen Empirie an ihm verulamisch nennen könnte, so zeigt sich an dem stets wiederhohlten Versuch der Rückkehr in sich selbst, in der Ausbildung seiner Originalität und Productionskraft ein glückliches Gegengewicht. Er wird müde mathematische Probleme aufzugeben und aufzulösen, weil er sieht, daß dabey nichts her-
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Außerordentlich zart behandelt er ſeine Mitlebenden, Freunde, Studiengenoſſen, ja ſogar ſeine Gegner. Reizbar und voll Ehrgefuͤhl entweicht er allen Gele- genheiten ſich zu compromittiren; er verharrt im her- gebrachten Schicklichen und weiß zugleich ſeine Eigen- thuͤmlichkeit auszubilden, zu erhalten und durchzufuͤhren. Daher ſeine Ergebenheit unter die Ausſpruͤche der Kir- che, ſein Zaudern als Schriftſteller hervorzutreten, ſeine Aengſtlichkeit bey den Schickſalen Galilei’s, ſein Suchen der Einſamkeit und zugleich ſeine ununter- brochne Geſelligkeit durch Briefe.
Seine Avantagen als Edelmann nutzt er in juͤn- gern und mittlern Jahren; er beſucht alle Hof-, Staats-, Kirchen- und Kriegsfeſte; eine Vermaͤhlung, eine Kroͤnung, ein Jubilaͤum, eine Belagerung kann ihn zu einer weiten Reiſe bewegen; er ſcheut weder Muͤhe, noch Aufwand, noch Gefahr, um nur alles mit Augen zu ſehen, um mit ſeines Gleichen, die ſich jedoch in ganz anderm Sinne in der Welt herumtummeln, an den merkwuͤrdigſten Ereigniſſen ſeiner Zeit ehrenvoll Theil zu nehmen.
Wie man nun dieſes Aufſuchen einer unendlichen Empirie an ihm verulamiſch nennen koͤnnte, ſo zeigt ſich an dem ſtets wiederhohlten Verſuch der Ruͤckkehr in ſich ſelbſt, in der Ausbildung ſeiner Originalitaͤt und Productionskraft ein gluͤckliches Gegengewicht. Er wird muͤde mathematiſche Probleme aufzugeben und aufzuloͤſen, weil er ſieht, daß dabey nichts her-
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Außerordentlich zart behandelt er ſeine Mitlebenden,
Freunde, Studiengenoſſen, ja ſogar ſeine Gegner.
Reizbar und voll Ehrgefuͤhl entweicht er allen Gele-
genheiten ſich zu compromittiren; er verharrt im her-
gebrachten Schicklichen und weiß zugleich ſeine Eigen-
thuͤmlichkeit auszubilden, zu erhalten und durchzufuͤhren.
Daher ſeine Ergebenheit unter die Ausſpruͤche der Kir-
che, ſein Zaudern als Schriftſteller hervorzutreten,
ſeine Aengſtlichkeit bey den Schickſalen Galilei’s, ſein
Suchen der Einſamkeit und zugleich ſeine ununter-
brochne Geſelligkeit durch Briefe.
Seine Avantagen als Edelmann nutzt er in juͤn-
gern und mittlern Jahren; er beſucht alle Hof-, Staats-,
Kirchen- und Kriegsfeſte; eine Vermaͤhlung, eine
Kroͤnung, ein Jubilaͤum, eine Belagerung kann ihn
zu einer weiten Reiſe bewegen; er ſcheut weder Muͤhe,
noch Aufwand, noch Gefahr, um nur alles mit Augen
zu ſehen, um mit ſeines Gleichen, die ſich jedoch in
ganz anderm Sinne in der Welt herumtummeln, an
den merkwuͤrdigſten Ereigniſſen ſeiner Zeit ehrenvoll
Theil zu nehmen.
Wie man nun dieſes Aufſuchen einer unendlichen
Empirie an ihm verulamiſch nennen koͤnnte, ſo zeigt
ſich an dem ſtets wiederhohlten Verſuch der Ruͤckkehr
in ſich ſelbſt, in der Ausbildung ſeiner Originalitaͤt
und Productionskraft ein gluͤckliches Gegengewicht.
Er wird muͤde mathematiſche Probleme aufzugeben
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/309>, abgerufen am 21.11.2024.
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