tende Körper der Sonne könnte nicht einmal gesehen werden, wenn er nicht dunkel wäre, dergestalt daß er unserem Sehen widerstünde; woraus unwidersprechlich folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten ohne Licht auf irgend eine Weise seyn könne. Ja der ganze Schmuck der Welt ist aus Licht und Schatten dergestalt bereitet, daß wenn man eins von beyden wegnähme, die Welt nicht mehr cosmos heißen, noch die verwundernswürdige Schönheit der Natur auf irgend eine Weise dem Gesicht sich darstellen könnte. Denn alles was sichtlich in der Welt ist, ist es nur durch ein schattiges Licht, oder einen lichten Schatten. Da also die Farbe die Eigenschaft eines dunklen Kör- pers ist, oder wie einige sagen, ein beschattetes Licht, des Lichts und des Schattens ächte Ausgeburt; so haben wir hier davon zu handlen, auf daß die größte Zierde der irdischen Welt und wie viel Wundersames dadurch bewirkt werden kann, dem Leser bekannt werde."
Erstes Capitel. Unser Verfasser möchte, um sich sogleich ein recht methodisches Ansehn zu geben, eine Definition voraus schicken, und wird nicht gewahr, daß man eigentlich ein Werk schreiben muß, um zur Definition zu kommen. Auch ist hier weiter nichts geleistet, als daß dasjenige angeführt und wiederhohlt wird, wie die Griechen sich über diesen Gegenstand auszudrücken pflegten.
Zweytes Capitel. Von der vielfachen Man- nigfaltigkeit der Farben. Er hält sich hiebey an das
tende Koͤrper der Sonne koͤnnte nicht einmal geſehen werden, wenn er nicht dunkel waͤre, dergeſtalt daß er unſerem Sehen widerſtuͤnde; woraus unwiderſprechlich folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten ohne Licht auf irgend eine Weiſe ſeyn koͤnne. Ja der ganze Schmuck der Welt iſt aus Licht und Schatten dergeſtalt bereitet, daß wenn man eins von beyden wegnaͤhme, die Welt nicht mehr cosmos heißen, noch die verwundernswuͤrdige Schoͤnheit der Natur auf irgend eine Weiſe dem Geſicht ſich darſtellen koͤnnte. Denn alles was ſichtlich in der Welt iſt, iſt es nur durch ein ſchattiges Licht, oder einen lichten Schatten. Da alſo die Farbe die Eigenſchaft eines dunklen Koͤr- pers iſt, oder wie einige ſagen, ein beſchattetes Licht, des Lichts und des Schattens aͤchte Ausgeburt; ſo haben wir hier davon zu handlen, auf daß die groͤßte Zierde der irdiſchen Welt und wie viel Wunderſames dadurch bewirkt werden kann, dem Leſer bekannt werde.“
Erſtes Capitel. Unſer Verfaſſer moͤchte, um ſich ſogleich ein recht methodiſches Anſehn zu geben, eine Definition voraus ſchicken, und wird nicht gewahr, daß man eigentlich ein Werk ſchreiben muß, um zur Definition zu kommen. Auch iſt hier weiter nichts geleiſtet, als daß dasjenige angefuͤhrt und wiederhohlt wird, wie die Griechen ſich uͤber dieſen Gegenſtand auszudruͤcken pflegten.
Zweytes Capitel. Von der vielfachen Man- nigfaltigkeit der Farben. Er haͤlt ſich hiebey an das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0314"n="280"/>
tende Koͤrper der Sonne koͤnnte nicht einmal geſehen<lb/>
werden, wenn er nicht dunkel waͤre, dergeſtalt daß er<lb/>
unſerem Sehen widerſtuͤnde; woraus unwiderſprechlich<lb/>
folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten<lb/>
ohne Licht auf irgend eine Weiſe ſeyn koͤnne. Ja der<lb/>
ganze Schmuck der Welt iſt aus Licht und Schatten<lb/>
dergeſtalt bereitet, daß wenn man eins von beyden<lb/>
wegnaͤhme, die Welt nicht mehr <hirendition="#aq">cosmos</hi> heißen, noch<lb/>
die verwundernswuͤrdige Schoͤnheit der Natur auf<lb/>
irgend eine Weiſe dem Geſicht ſich darſtellen koͤnnte.<lb/>
Denn alles was ſichtlich in der Welt iſt, iſt es nur<lb/>
durch ein ſchattiges Licht, oder einen lichten Schatten.<lb/>
Da alſo die Farbe die Eigenſchaft eines dunklen Koͤr-<lb/>
pers iſt, oder wie einige ſagen, ein beſchattetes Licht,<lb/>
des Lichts und des Schattens aͤchte Ausgeburt; ſo<lb/>
haben wir hier davon zu handlen, auf daß die groͤßte<lb/>
Zierde der irdiſchen Welt und wie viel Wunderſames<lb/>
dadurch bewirkt werden kann, dem Leſer bekannt<lb/>
werde.“</p><lb/><p><hirendition="#g">Erſtes Capitel</hi>. Unſer Verfaſſer moͤchte, um<lb/>ſich ſogleich ein recht methodiſches Anſehn zu geben,<lb/>
eine Definition voraus ſchicken, und wird nicht gewahr,<lb/>
daß man eigentlich ein Werk ſchreiben muß, um zur<lb/>
Definition zu kommen. Auch iſt hier weiter nichts<lb/>
geleiſtet, als daß dasjenige angefuͤhrt und wiederhohlt<lb/>
wird, wie die Griechen ſich uͤber dieſen Gegenſtand<lb/>
auszudruͤcken pflegten.</p><lb/><p><hirendition="#g">Zweytes Capitel</hi>. Von der vielfachen Man-<lb/>
nigfaltigkeit der Farben. Er haͤlt ſich hiebey an das<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[280/0314]
tende Koͤrper der Sonne koͤnnte nicht einmal geſehen
werden, wenn er nicht dunkel waͤre, dergeſtalt daß er
unſerem Sehen widerſtuͤnde; woraus unwiderſprechlich
folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten
ohne Licht auf irgend eine Weiſe ſeyn koͤnne. Ja der
ganze Schmuck der Welt iſt aus Licht und Schatten
dergeſtalt bereitet, daß wenn man eins von beyden
wegnaͤhme, die Welt nicht mehr cosmos heißen, noch
die verwundernswuͤrdige Schoͤnheit der Natur auf
irgend eine Weiſe dem Geſicht ſich darſtellen koͤnnte.
Denn alles was ſichtlich in der Welt iſt, iſt es nur
durch ein ſchattiges Licht, oder einen lichten Schatten.
Da alſo die Farbe die Eigenſchaft eines dunklen Koͤr-
pers iſt, oder wie einige ſagen, ein beſchattetes Licht,
des Lichts und des Schattens aͤchte Ausgeburt; ſo
haben wir hier davon zu handlen, auf daß die groͤßte
Zierde der irdiſchen Welt und wie viel Wunderſames
dadurch bewirkt werden kann, dem Leſer bekannt
werde.“
Erſtes Capitel. Unſer Verfaſſer moͤchte, um
ſich ſogleich ein recht methodiſches Anſehn zu geben,
eine Definition voraus ſchicken, und wird nicht gewahr,
daß man eigentlich ein Werk ſchreiben muß, um zur
Definition zu kommen. Auch iſt hier weiter nichts
geleiſtet, als daß dasjenige angefuͤhrt und wiederhohlt
wird, wie die Griechen ſich uͤber dieſen Gegenſtand
auszudruͤcken pflegten.
Zweytes Capitel. Von der vielfachen Man-
nigfaltigkeit der Farben. Er haͤlt ſich hiebey an das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/314>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.