Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

tende Körper der Sonne könnte nicht einmal gesehen
werden, wenn er nicht dunkel wäre, dergestalt daß er
unserem Sehen widerstünde; woraus unwidersprechlich
folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten
ohne Licht auf irgend eine Weise seyn könne. Ja der
ganze Schmuck der Welt ist aus Licht und Schatten
dergestalt bereitet, daß wenn man eins von beyden
wegnähme, die Welt nicht mehr cosmos heißen, noch
die verwundernswürdige Schönheit der Natur auf
irgend eine Weise dem Gesicht sich darstellen könnte.
Denn alles was sichtlich in der Welt ist, ist es nur
durch ein schattiges Licht, oder einen lichten Schatten.
Da also die Farbe die Eigenschaft eines dunklen Kör-
pers ist, oder wie einige sagen, ein beschattetes Licht,
des Lichts und des Schattens ächte Ausgeburt; so
haben wir hier davon zu handlen, auf daß die größte
Zierde der irdischen Welt und wie viel Wundersames
dadurch bewirkt werden kann, dem Leser bekannt
werde."

Erstes Capitel. Unser Verfasser möchte, um
sich sogleich ein recht methodisches Ansehn zu geben,
eine Definition voraus schicken, und wird nicht gewahr,
daß man eigentlich ein Werk schreiben muß, um zur
Definition zu kommen. Auch ist hier weiter nichts
geleistet, als daß dasjenige angeführt und wiederhohlt
wird, wie die Griechen sich über diesen Gegenstand
auszudrücken pflegten.

Zweytes Capitel. Von der vielfachen Man-
nigfaltigkeit der Farben. Er hält sich hiebey an das

tende Koͤrper der Sonne koͤnnte nicht einmal geſehen
werden, wenn er nicht dunkel waͤre, dergeſtalt daß er
unſerem Sehen widerſtuͤnde; woraus unwiderſprechlich
folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten
ohne Licht auf irgend eine Weiſe ſeyn koͤnne. Ja der
ganze Schmuck der Welt iſt aus Licht und Schatten
dergeſtalt bereitet, daß wenn man eins von beyden
wegnaͤhme, die Welt nicht mehr cosmos heißen, noch
die verwundernswuͤrdige Schoͤnheit der Natur auf
irgend eine Weiſe dem Geſicht ſich darſtellen koͤnnte.
Denn alles was ſichtlich in der Welt iſt, iſt es nur
durch ein ſchattiges Licht, oder einen lichten Schatten.
Da alſo die Farbe die Eigenſchaft eines dunklen Koͤr-
pers iſt, oder wie einige ſagen, ein beſchattetes Licht,
des Lichts und des Schattens aͤchte Ausgeburt; ſo
haben wir hier davon zu handlen, auf daß die groͤßte
Zierde der irdiſchen Welt und wie viel Wunderſames
dadurch bewirkt werden kann, dem Leſer bekannt
werde.“

Erſtes Capitel. Unſer Verfaſſer moͤchte, um
ſich ſogleich ein recht methodiſches Anſehn zu geben,
eine Definition voraus ſchicken, und wird nicht gewahr,
daß man eigentlich ein Werk ſchreiben muß, um zur
Definition zu kommen. Auch iſt hier weiter nichts
geleiſtet, als daß dasjenige angefuͤhrt und wiederhohlt
wird, wie die Griechen ſich uͤber dieſen Gegenſtand
auszudruͤcken pflegten.

Zweytes Capitel. Von der vielfachen Man-
nigfaltigkeit der Farben. Er haͤlt ſich hiebey an das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0314" n="280"/>
tende Ko&#x0364;rper der Sonne ko&#x0364;nnte nicht einmal ge&#x017F;ehen<lb/>
werden, wenn er nicht dunkel wa&#x0364;re, derge&#x017F;talt daß er<lb/>
un&#x017F;erem Sehen wider&#x017F;tu&#x0364;nde; woraus unwider&#x017F;prechlich<lb/>
folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten<lb/>
ohne Licht auf irgend eine Wei&#x017F;e &#x017F;eyn ko&#x0364;nne. Ja der<lb/>
ganze Schmuck der Welt i&#x017F;t aus Licht und Schatten<lb/>
derge&#x017F;talt bereitet, daß wenn man eins von beyden<lb/>
wegna&#x0364;hme, die Welt nicht mehr <hi rendition="#aq">cosmos</hi> heißen, noch<lb/>
die verwundernswu&#x0364;rdige Scho&#x0364;nheit der Natur auf<lb/>
irgend eine Wei&#x017F;e dem Ge&#x017F;icht &#x017F;ich dar&#x017F;tellen ko&#x0364;nnte.<lb/>
Denn alles was &#x017F;ichtlich in der Welt i&#x017F;t, i&#x017F;t es nur<lb/>
durch ein &#x017F;chattiges Licht, oder einen lichten Schatten.<lb/>
Da al&#x017F;o die Farbe die Eigen&#x017F;chaft eines dunklen Ko&#x0364;r-<lb/>
pers i&#x017F;t, oder wie einige &#x017F;agen, ein be&#x017F;chattetes Licht,<lb/>
des Lichts und des Schattens a&#x0364;chte Ausgeburt; &#x017F;o<lb/>
haben wir hier davon zu handlen, auf daß die gro&#x0364;ßte<lb/>
Zierde der irdi&#x017F;chen Welt und wie viel Wunder&#x017F;ames<lb/>
dadurch bewirkt werden kann, dem Le&#x017F;er bekannt<lb/>
werde.&#x201C;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Capitel</hi>. Un&#x017F;er Verfa&#x017F;&#x017F;er mo&#x0364;chte, um<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ogleich ein recht methodi&#x017F;ches An&#x017F;ehn zu geben,<lb/>
eine Definition voraus &#x017F;chicken, und wird nicht gewahr,<lb/>
daß man eigentlich ein Werk &#x017F;chreiben muß, um zur<lb/>
Definition zu kommen. Auch i&#x017F;t hier weiter nichts<lb/>
gelei&#x017F;tet, als daß dasjenige angefu&#x0364;hrt und wiederhohlt<lb/>
wird, wie die Griechen &#x017F;ich u&#x0364;ber die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand<lb/>
auszudru&#x0364;cken pflegten.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Zweytes Capitel</hi>. Von der vielfachen Man-<lb/>
nigfaltigkeit der Farben. Er ha&#x0364;lt &#x017F;ich hiebey an das<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0314] tende Koͤrper der Sonne koͤnnte nicht einmal geſehen werden, wenn er nicht dunkel waͤre, dergeſtalt daß er unſerem Sehen widerſtuͤnde; woraus unwiderſprechlich folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten ohne Licht auf irgend eine Weiſe ſeyn koͤnne. Ja der ganze Schmuck der Welt iſt aus Licht und Schatten dergeſtalt bereitet, daß wenn man eins von beyden wegnaͤhme, die Welt nicht mehr cosmos heißen, noch die verwundernswuͤrdige Schoͤnheit der Natur auf irgend eine Weiſe dem Geſicht ſich darſtellen koͤnnte. Denn alles was ſichtlich in der Welt iſt, iſt es nur durch ein ſchattiges Licht, oder einen lichten Schatten. Da alſo die Farbe die Eigenſchaft eines dunklen Koͤr- pers iſt, oder wie einige ſagen, ein beſchattetes Licht, des Lichts und des Schattens aͤchte Ausgeburt; ſo haben wir hier davon zu handlen, auf daß die groͤßte Zierde der irdiſchen Welt und wie viel Wunderſames dadurch bewirkt werden kann, dem Leſer bekannt werde.“ Erſtes Capitel. Unſer Verfaſſer moͤchte, um ſich ſogleich ein recht methodiſches Anſehn zu geben, eine Definition voraus ſchicken, und wird nicht gewahr, daß man eigentlich ein Werk ſchreiben muß, um zur Definition zu kommen. Auch iſt hier weiter nichts geleiſtet, als daß dasjenige angefuͤhrt und wiederhohlt wird, wie die Griechen ſich uͤber dieſen Gegenſtand auszudruͤcken pflegten. Zweytes Capitel. Von der vielfachen Man- nigfaltigkeit der Farben. Er haͤlt ſich hiebey an das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/314
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/314>, abgerufen am 22.11.2024.