Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

muß er sich der Natur entgegensetzen; indem er sich zu
Gott zu erheben strebt, muß er sie hinter sich lassen,
und in beyden Fällen kann man ihm nicht verdenken,
wenn er ihr so wenig als möglich zuschreibt, ja wenn
er sie als etwas Feindseliges und Lästiges ansieht. Ver-
folgt wurden daher solche Männer, die an eine Wiederver-
einigung des Getrennten dachten. Als man die teleolo-
gische Erklärungsart verbannte, nahm man der Natur
den Verstand; man hatte den Muth nicht ihr Vernunft
zuzuschreiben und sie blieb zuletzt geistlos liegen. Was
man von ihr verlangte, waren technische, mechanische
Dienste, und man fand sie zuletzt auch nur in diesem
Sinne faßlich und begreiflich.

Auf diese Weise läßt sich einsehen, wie das zarte,
fromme Gemüth eines Robert Boyle sich für die Na-
tur interessiren, sich zeitlebens mit ihr beschäftigen
und doch ihr weiter nichts abgewinnen konnte, als
daß sie ein Wesen sey, das sich ausdehnen und zu-
sammenziehen, mischen und sondern lasse, dessen Theile,
indem sie durch Druck, Stoß gegen einander arbeiten
und sich in die verschiedensten Lagen begeben, auch ver-
schiedene Wirkungen auf unsre Sinne hervorbringen.

In die Farbenlehre war er von der chemischen
Seite hereingekommen. Er ist der erste seit Theo-
phrast, der Anstalt macht, eine Sammlung der Phä-
nomene aufzustellen und eine Uebersicht zu geben. Er
betreibt das Geschäft nur gelegentlich und zaudert seine
Arbeit abzuschließen; zuletzt, als ihm eine Augenkrank-

muß er ſich der Natur entgegenſetzen; indem er ſich zu
Gott zu erheben ſtrebt, muß er ſie hinter ſich laſſen,
und in beyden Faͤllen kann man ihm nicht verdenken,
wenn er ihr ſo wenig als moͤglich zuſchreibt, ja wenn
er ſie als etwas Feindſeliges und Laͤſtiges anſieht. Ver-
folgt wurden daher ſolche Maͤnner, die an eine Wiederver-
einigung des Getrennten dachten. Als man die teleolo-
giſche Erklaͤrungsart verbannte, nahm man der Natur
den Verſtand; man hatte den Muth nicht ihr Vernunft
zuzuſchreiben und ſie blieb zuletzt geiſtlos liegen. Was
man von ihr verlangte, waren techniſche, mechaniſche
Dienſte, und man fand ſie zuletzt auch nur in dieſem
Sinne faßlich und begreiflich.

Auf dieſe Weiſe laͤßt ſich einſehen, wie das zarte,
fromme Gemuͤth eines Robert Boyle ſich fuͤr die Na-
tur intereſſiren, ſich zeitlebens mit ihr beſchaͤftigen
und doch ihr weiter nichts abgewinnen konnte, als
daß ſie ein Weſen ſey, das ſich ausdehnen und zu-
ſammenziehen, miſchen und ſondern laſſe, deſſen Theile,
indem ſie durch Druck, Stoß gegen einander arbeiten
und ſich in die verſchiedenſten Lagen begeben, auch ver-
ſchiedene Wirkungen auf unſre Sinne hervorbringen.

In die Farbenlehre war er von der chemiſchen
Seite hereingekommen. Er iſt der erſte ſeit Theo-
phraſt, der Anſtalt macht, eine Sammlung der Phaͤ-
nomene aufzuſtellen und eine Ueberſicht zu geben. Er
betreibt das Geſchaͤft nur gelegentlich und zaudert ſeine
Arbeit abzuſchließen; zuletzt, als ihm eine Augenkrank-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0346" n="312"/>
muß er &#x017F;ich der Natur entgegen&#x017F;etzen; indem er &#x017F;ich zu<lb/>
Gott zu erheben &#x017F;trebt, muß er &#x017F;ie hinter &#x017F;ich la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und in beyden Fa&#x0364;llen kann man ihm nicht verdenken,<lb/>
wenn er ihr &#x017F;o wenig als mo&#x0364;glich zu&#x017F;chreibt, ja wenn<lb/>
er &#x017F;ie als etwas Feind&#x017F;eliges und La&#x0364;&#x017F;tiges an&#x017F;ieht. Ver-<lb/>
folgt wurden daher &#x017F;olche Ma&#x0364;nner, die an eine Wiederver-<lb/>
einigung des Getrennten dachten. Als man die teleolo-<lb/>
gi&#x017F;che Erkla&#x0364;rungsart verbannte, nahm man der Natur<lb/>
den Ver&#x017F;tand; man hatte den Muth nicht ihr Vernunft<lb/>
zuzu&#x017F;chreiben und &#x017F;ie blieb zuletzt gei&#x017F;tlos liegen. Was<lb/>
man von ihr verlangte, waren techni&#x017F;che, mechani&#x017F;che<lb/>
Dien&#x017F;te, und man fand &#x017F;ie zuletzt auch nur in die&#x017F;em<lb/>
Sinne faßlich und begreiflich.</p><lb/>
          <p>Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e la&#x0364;ßt &#x017F;ich ein&#x017F;ehen, wie das zarte,<lb/>
fromme Gemu&#x0364;th eines Robert Boyle &#x017F;ich fu&#x0364;r die Na-<lb/>
tur intere&#x017F;&#x017F;iren, &#x017F;ich zeitlebens mit ihr be&#x017F;cha&#x0364;ftigen<lb/>
und doch ihr weiter nichts abgewinnen konnte, als<lb/>
daß &#x017F;ie ein We&#x017F;en &#x017F;ey, das &#x017F;ich ausdehnen und zu-<lb/>
&#x017F;ammenziehen, mi&#x017F;chen und &#x017F;ondern la&#x017F;&#x017F;e, de&#x017F;&#x017F;en Theile,<lb/>
indem &#x017F;ie durch Druck, Stoß gegen einander arbeiten<lb/>
und &#x017F;ich in die ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Lagen begeben, auch ver-<lb/>
&#x017F;chiedene Wirkungen auf un&#x017F;re Sinne hervorbringen.</p><lb/>
          <p>In die Farbenlehre war er von der chemi&#x017F;chen<lb/>
Seite hereingekommen. Er i&#x017F;t der er&#x017F;te &#x017F;eit Theo-<lb/>
phra&#x017F;t, der An&#x017F;talt macht, eine Sammlung der Pha&#x0364;-<lb/>
nomene aufzu&#x017F;tellen und eine Ueber&#x017F;icht zu geben. Er<lb/>
betreibt das Ge&#x017F;cha&#x0364;ft nur gelegentlich und zaudert &#x017F;eine<lb/>
Arbeit abzu&#x017F;chließen; zuletzt, als ihm eine Augenkrank-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0346] muß er ſich der Natur entgegenſetzen; indem er ſich zu Gott zu erheben ſtrebt, muß er ſie hinter ſich laſſen, und in beyden Faͤllen kann man ihm nicht verdenken, wenn er ihr ſo wenig als moͤglich zuſchreibt, ja wenn er ſie als etwas Feindſeliges und Laͤſtiges anſieht. Ver- folgt wurden daher ſolche Maͤnner, die an eine Wiederver- einigung des Getrennten dachten. Als man die teleolo- giſche Erklaͤrungsart verbannte, nahm man der Natur den Verſtand; man hatte den Muth nicht ihr Vernunft zuzuſchreiben und ſie blieb zuletzt geiſtlos liegen. Was man von ihr verlangte, waren techniſche, mechaniſche Dienſte, und man fand ſie zuletzt auch nur in dieſem Sinne faßlich und begreiflich. Auf dieſe Weiſe laͤßt ſich einſehen, wie das zarte, fromme Gemuͤth eines Robert Boyle ſich fuͤr die Na- tur intereſſiren, ſich zeitlebens mit ihr beſchaͤftigen und doch ihr weiter nichts abgewinnen konnte, als daß ſie ein Weſen ſey, das ſich ausdehnen und zu- ſammenziehen, miſchen und ſondern laſſe, deſſen Theile, indem ſie durch Druck, Stoß gegen einander arbeiten und ſich in die verſchiedenſten Lagen begeben, auch ver- ſchiedene Wirkungen auf unſre Sinne hervorbringen. In die Farbenlehre war er von der chemiſchen Seite hereingekommen. Er iſt der erſte ſeit Theo- phraſt, der Anſtalt macht, eine Sammlung der Phaͤ- nomene aufzuſtellen und eine Ueberſicht zu geben. Er betreibt das Geſchaͤft nur gelegentlich und zaudert ſeine Arbeit abzuſchließen; zuletzt, als ihm eine Augenkrank-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/346
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/346>, abgerufen am 22.11.2024.