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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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worfenen Sonnenstrahlen die eine Seite des Fensters
bedeutender erhellten als die andre. Auf einen Tisch,
der nicht weit von der Oeffnung stand, legte ich so-
dann ein weißes Papier, worauf das Licht der zwey
Zurückstrahlungen fiel. Nachdem ich das Fenster ge-
schlossen hatte, erhob ich meine Hand ein wenig über
das Papier, um auf beyden Seiten Schatten zu er-
regen, und sogleich bemerkte ich auf dem Papier vier
deutliche Farben: Gelb, Blau, Grün und Violett.
Das Gelbe erschien jedesmal an der Stelle, wo das
stärkste Licht sich mit dem schwächsten Schatten verband,
d. h. auf der Seite der stärksten Wiederstrahlung; das
Blau dagegen zeigte sich nur an der Stelle, wo das
schwächste Licht sich mit dem stärksten Schatten ver-
einigte, d. h. an der Seite der geringsten Wieder-
strahlung; das Violette zeigte sich immer an der
Stelle, wo die Schatten der zwey Wiederstrahlungen
zusammenliefen; und das Grüne entstand durch die
Vermischung des Gelben und Blauen. Alle diese Far-
ben entstanden nur aus den verschiedenen Vermi-
schungen von Licht und Schatten, wie es offenbar
ist, und sie verschwanden sogleich, nachdem die Sonne
aufgehört hatte auf die Häuser zu leuchten, die dem
Zimmer, wo ich den Versuch machte, entgegenstunden,
obgleich sonst der Tag noch sehr hell war. Um nun
aufs neue dieselben Farben wieder darzustellen, ohne
daß man Zurückstrahlungen der Sonne von ungleicher
Kraft nöthig hätte, nahm ich ein angezündetes Licht
und ein Buch in Quart, das mir Schatten auf das
Papier gäbe, um verschiedene Mischungen des Tages-

II. 22

worfenen Sonnenſtrahlen die eine Seite des Fenſters
bedeutender erhellten als die andre. Auf einen Tiſch,
der nicht weit von der Oeffnung ſtand, legte ich ſo-
dann ein weißes Papier, worauf das Licht der zwey
Zuruͤckſtrahlungen fiel. Nachdem ich das Fenſter ge-
ſchloſſen hatte, erhob ich meine Hand ein wenig uͤber
das Papier, um auf beyden Seiten Schatten zu er-
regen, und ſogleich bemerkte ich auf dem Papier vier
deutliche Farben: Gelb, Blau, Gruͤn und Violett.
Das Gelbe erſchien jedesmal an der Stelle, wo das
ſtaͤrkſte Licht ſich mit dem ſchwaͤchſten Schatten verband,
d. h. auf der Seite der ſtaͤrkſten Wiederſtrahlung; das
Blau dagegen zeigte ſich nur an der Stelle, wo das
ſchwaͤchſte Licht ſich mit dem ſtaͤrkſten Schatten ver-
einigte, d. h. an der Seite der geringſten Wieder-
ſtrahlung; das Violette zeigte ſich immer an der
Stelle, wo die Schatten der zwey Wiederſtrahlungen
zuſammenliefen; und das Gruͤne entſtand durch die
Vermiſchung des Gelben und Blauen. Alle dieſe Far-
ben entſtanden nur aus den verſchiedenen Vermi-
ſchungen von Licht und Schatten, wie es offenbar
iſt, und ſie verſchwanden ſogleich, nachdem die Sonne
aufgehoͤrt hatte auf die Haͤuſer zu leuchten, die dem
Zimmer, wo ich den Verſuch machte, entgegenſtunden,
obgleich ſonſt der Tag noch ſehr hell war. Um nun
aufs neue dieſelben Farben wieder darzuſtellen, ohne
daß man Zuruͤckſtrahlungen der Sonne von ungleicher
Kraft noͤthig haͤtte, nahm ich ein angezuͤndetes Licht
und ein Buch in Quart, das mir Schatten auf das
Papier gaͤbe, um verſchiedene Miſchungen des Tages-

II. 22
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[337/0371] worfenen Sonnenſtrahlen die eine Seite des Fenſters bedeutender erhellten als die andre. Auf einen Tiſch, der nicht weit von der Oeffnung ſtand, legte ich ſo- dann ein weißes Papier, worauf das Licht der zwey Zuruͤckſtrahlungen fiel. Nachdem ich das Fenſter ge- ſchloſſen hatte, erhob ich meine Hand ein wenig uͤber das Papier, um auf beyden Seiten Schatten zu er- regen, und ſogleich bemerkte ich auf dem Papier vier deutliche Farben: Gelb, Blau, Gruͤn und Violett. Das Gelbe erſchien jedesmal an der Stelle, wo das ſtaͤrkſte Licht ſich mit dem ſchwaͤchſten Schatten verband, d. h. auf der Seite der ſtaͤrkſten Wiederſtrahlung; das Blau dagegen zeigte ſich nur an der Stelle, wo das ſchwaͤchſte Licht ſich mit dem ſtaͤrkſten Schatten ver- einigte, d. h. an der Seite der geringſten Wieder- ſtrahlung; das Violette zeigte ſich immer an der Stelle, wo die Schatten der zwey Wiederſtrahlungen zuſammenliefen; und das Gruͤne entſtand durch die Vermiſchung des Gelben und Blauen. Alle dieſe Far- ben entſtanden nur aus den verſchiedenen Vermi- ſchungen von Licht und Schatten, wie es offenbar iſt, und ſie verſchwanden ſogleich, nachdem die Sonne aufgehoͤrt hatte auf die Haͤuſer zu leuchten, die dem Zimmer, wo ich den Verſuch machte, entgegenſtunden, obgleich ſonſt der Tag noch ſehr hell war. Um nun aufs neue dieſelben Farben wieder darzuſtellen, ohne daß man Zuruͤckſtrahlungen der Sonne von ungleicher Kraft noͤthig haͤtte, nahm ich ein angezuͤndetes Licht und ein Buch in Quart, das mir Schatten auf das Papier gaͤbe, um verſchiedene Miſchungen des Tages- II. 22

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/371>, abgerufen am 24.11.2024.