Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

verhält es sich mit den Farben, die von einer viel
mindern Dichtigkeit der Lichtstrahlen entstehen: diese
werden schon in einer kleinen Entfernung schwarz."

"Ich sehe nicht, wie ein Newtonianer verantworten
kann, daß Körper von schwachen Farben in der Ent-
fernung schwarz zu seyn scheinen. Wenn sie z. B. nur
die blauen Lichttheilchen zurückwerfen, warum bleiben
denn diese auf der entfernten Netzhaut nicht eben so
wohl blaue Lichttheilchen als auf der nahen? Es ist ja
nicht, wie mit dem Geschmacke eines Galzes, das
man mit zu vielem Wasser verdünnt hat. Die blauen
Lichttheilchen werden auch in der Entfernung mit nichts
vermischt, das ihre Wirkungen verändern könnte. Sie
gehen zwar durch die Atmosphäre, die voll fremder
Körper und anderer Farbetheilchen ist, aber sie leiden
doch dadurch keine Veränderung."

"Die scheinbaren Farben lassen sich aus dieser Hy-
pothese noch leichter als aus den übrigen erklären. Wenn
die Netzhaut, indem das Auge lange in das Licht sah,
oder einen andern gefärbten Körper einige Zeit betrach-
tete, nach Verhältniß der Dichtigkeit der empfangenen
Lichtstrahlen erwärmt wurde; so konnte sich diese Wärme
nur nach und nach verlieren. So wird ein warmes
Metall nicht auf einmal kalt. Mit der Fortdauer der
Wärme dauerte die Ausdehnung fort, und folglich die
Farben, die allmälich so wie sich die Wärme verlor,
in andere Farben übergingen."

verhaͤlt es ſich mit den Farben, die von einer viel
mindern Dichtigkeit der Lichtſtrahlen entſtehen: dieſe
werden ſchon in einer kleinen Entfernung ſchwarz.“

„Ich ſehe nicht, wie ein Newtonianer verantworten
kann, daß Koͤrper von ſchwachen Farben in der Ent-
fernung ſchwarz zu ſeyn ſcheinen. Wenn ſie z. B. nur
die blauen Lichttheilchen zuruͤckwerfen, warum bleiben
denn dieſe auf der entfernten Netzhaut nicht eben ſo
wohl blaue Lichttheilchen als auf der nahen? Es iſt ja
nicht, wie mit dem Geſchmacke eines Galzes, das
man mit zu vielem Waſſer verduͤnnt hat. Die blauen
Lichttheilchen werden auch in der Entfernung mit nichts
vermiſcht, das ihre Wirkungen veraͤndern koͤnnte. Sie
gehen zwar durch die Atmoſphaͤre, die voll fremder
Koͤrper und anderer Farbetheilchen iſt, aber ſie leiden
doch dadurch keine Veraͤnderung.“

„Die ſcheinbaren Farben laſſen ſich aus dieſer Hy-
potheſe noch leichter als aus den uͤbrigen erklaͤren. Wenn
die Netzhaut, indem das Auge lange in das Licht ſah,
oder einen andern gefaͤrbten Koͤrper einige Zeit betrach-
tete, nach Verhaͤltniß der Dichtigkeit der empfangenen
Lichtſtrahlen erwaͤrmt wurde; ſo konnte ſich dieſe Waͤrme
nur nach und nach verlieren. So wird ein warmes
Metall nicht auf einmal kalt. Mit der Fortdauer der
Waͤrme dauerte die Ausdehnung fort, und folglich die
Farben, die allmaͤlich ſo wie ſich die Waͤrme verlor,
in andere Farben uͤbergingen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0630" n="596"/>
verha&#x0364;lt es &#x017F;ich mit den Farben, die von einer viel<lb/>
mindern Dichtigkeit der Licht&#x017F;trahlen ent&#x017F;tehen: die&#x017F;e<lb/>
werden &#x017F;chon in einer kleinen Entfernung &#x017F;chwarz.&#x201C;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Ich &#x017F;ehe nicht, wie ein Newtonianer verantworten<lb/>
kann, daß Ko&#x0364;rper von &#x017F;chwachen Farben in der Ent-<lb/>
fernung &#x017F;chwarz zu &#x017F;eyn &#x017F;cheinen. Wenn &#x017F;ie z. B. nur<lb/>
die blauen Lichttheilchen zuru&#x0364;ckwerfen, warum bleiben<lb/>
denn die&#x017F;e auf der entfernten Netzhaut nicht eben &#x017F;o<lb/>
wohl blaue Lichttheilchen als auf der nahen? Es i&#x017F;t ja<lb/>
nicht, wie mit dem Ge&#x017F;chmacke eines Galzes, das<lb/>
man mit zu vielem Wa&#x017F;&#x017F;er verdu&#x0364;nnt hat. Die blauen<lb/>
Lichttheilchen werden auch in der Entfernung mit nichts<lb/>
vermi&#x017F;cht, das ihre Wirkungen vera&#x0364;ndern ko&#x0364;nnte. Sie<lb/>
gehen zwar durch die Atmo&#x017F;pha&#x0364;re, die voll fremder<lb/>
Ko&#x0364;rper und anderer Farbetheilchen i&#x017F;t, aber &#x017F;ie leiden<lb/>
doch dadurch keine Vera&#x0364;nderung.&#x201C;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Die &#x017F;cheinbaren Farben la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich aus die&#x017F;er Hy-<lb/>
pothe&#x017F;e noch leichter als aus den u&#x0364;brigen erkla&#x0364;ren. Wenn<lb/>
die Netzhaut, indem das Auge lange in das Licht &#x017F;ah,<lb/>
oder einen andern gefa&#x0364;rbten Ko&#x0364;rper einige Zeit betrach-<lb/>
tete, nach Verha&#x0364;ltniß der Dichtigkeit der empfangenen<lb/>
Licht&#x017F;trahlen erwa&#x0364;rmt wurde; &#x017F;o konnte &#x017F;ich die&#x017F;e Wa&#x0364;rme<lb/>
nur nach und nach verlieren. So wird ein warmes<lb/>
Metall nicht auf einmal kalt. Mit der Fortdauer der<lb/>
Wa&#x0364;rme dauerte die Ausdehnung fort, und folglich die<lb/>
Farben, die allma&#x0364;lich &#x017F;o wie &#x017F;ich die Wa&#x0364;rme verlor,<lb/>
in andere Farben u&#x0364;bergingen.&#x201C;</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[596/0630] verhaͤlt es ſich mit den Farben, die von einer viel mindern Dichtigkeit der Lichtſtrahlen entſtehen: dieſe werden ſchon in einer kleinen Entfernung ſchwarz.“ „Ich ſehe nicht, wie ein Newtonianer verantworten kann, daß Koͤrper von ſchwachen Farben in der Ent- fernung ſchwarz zu ſeyn ſcheinen. Wenn ſie z. B. nur die blauen Lichttheilchen zuruͤckwerfen, warum bleiben denn dieſe auf der entfernten Netzhaut nicht eben ſo wohl blaue Lichttheilchen als auf der nahen? Es iſt ja nicht, wie mit dem Geſchmacke eines Galzes, das man mit zu vielem Waſſer verduͤnnt hat. Die blauen Lichttheilchen werden auch in der Entfernung mit nichts vermiſcht, das ihre Wirkungen veraͤndern koͤnnte. Sie gehen zwar durch die Atmoſphaͤre, die voll fremder Koͤrper und anderer Farbetheilchen iſt, aber ſie leiden doch dadurch keine Veraͤnderung.“ „Die ſcheinbaren Farben laſſen ſich aus dieſer Hy- potheſe noch leichter als aus den uͤbrigen erklaͤren. Wenn die Netzhaut, indem das Auge lange in das Licht ſah, oder einen andern gefaͤrbten Koͤrper einige Zeit betrach- tete, nach Verhaͤltniß der Dichtigkeit der empfangenen Lichtſtrahlen erwaͤrmt wurde; ſo konnte ſich dieſe Waͤrme nur nach und nach verlieren. So wird ein warmes Metall nicht auf einmal kalt. Mit der Fortdauer der Waͤrme dauerte die Ausdehnung fort, und folglich die Farben, die allmaͤlich ſo wie ſich die Waͤrme verlor, in andere Farben uͤbergingen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/630
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/630>, abgerufen am 22.11.2024.