Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Natur-Wissenschaften abgeben, sey es um die Phäno-
mene zu thun, so gesellte ich wie zum ersten Stücke
meiner Beyträge ein Paket Charten, so zum zweyten
eine Folio-Tafel, auf welcher alle Fälle von hellen,
dunkeln und farbigen Flächen und Bildern dergestalt
angebracht waren, daß man sie nur vor sich hinstellen,
durch ein Prisma betrachten durfte, um alles wovon
in dem Hefte die Rede war, sogleich gewahr zu wer-
den. Allein diese Vorsorge war gerade der Sache hin-
derlich, und der dritte Fehler den ich beging. Denn
diese Tafel, vielmehr noch als die Charten, war un-
bequem zu packen und zu versenden, so daß selbst ei-
nige aufmerksam gewordne Liebhaber sich beklagten, die
Beyträge nebst dem Apparat durch den Buchhandel nicht
erhalten zu können.

Ich selbst war zu andern Lebensweisen, Sorgen und
Zerstreuungen hingerissen. Feldzüge, Reisen, Aufent-
halt an fremden Orten, nahmen mir den größten Theil
mehrerer Jahre weg; dennoch hielten mich die einmal
angefangenen Betrachtungen, das einmal übernomme-
ne Geschäft, denn zum Geschäft war diese Beschäfti-
gung geworden, auch selbst in den bewegtesten und
zerstreutesten Momenten fest; ja ich fand Gelegenheit in
der freyen Welt Phänomene zu bemerken, die meine
Einsicht vermehrten und meine Ansicht erweiterten.

Nachdem ich lange genug in der Breite der Phä-
nomene herumgetastet und mancherley Versuche gemacht
hatte, sie zu schematisiren und zu ordnen, fand ich

Natur-Wiſſenſchaften abgeben, ſey es um die Phaͤno-
mene zu thun, ſo geſellte ich wie zum erſten Stuͤcke
meiner Beytraͤge ein Paket Charten, ſo zum zweyten
eine Folio-Tafel, auf welcher alle Faͤlle von hellen,
dunkeln und farbigen Flaͤchen und Bildern dergeſtalt
angebracht waren, daß man ſie nur vor ſich hinſtellen,
durch ein Prisma betrachten durfte, um alles wovon
in dem Hefte die Rede war, ſogleich gewahr zu wer-
den. Allein dieſe Vorſorge war gerade der Sache hin-
derlich, und der dritte Fehler den ich beging. Denn
dieſe Tafel, vielmehr noch als die Charten, war un-
bequem zu packen und zu verſenden, ſo daß ſelbſt ei-
nige aufmerkſam gewordne Liebhaber ſich beklagten, die
Beytraͤge nebſt dem Apparat durch den Buchhandel nicht
erhalten zu koͤnnen.

Ich ſelbſt war zu andern Lebensweiſen, Sorgen und
Zerſtreuungen hingeriſſen. Feldzuͤge, Reiſen, Aufent-
halt an fremden Orten, nahmen mir den groͤßten Theil
mehrerer Jahre weg; dennoch hielten mich die einmal
angefangenen Betrachtungen, das einmal uͤbernomme-
ne Geſchaͤft, denn zum Geſchaͤft war dieſe Beſchaͤfti-
gung geworden, auch ſelbſt in den bewegteſten und
zerſtreuteſten Momenten feſt; ja ich fand Gelegenheit in
der freyen Welt Phaͤnomene zu bemerken, die meine
Einſicht vermehrten und meine Anſicht erweiterten.

Nachdem ich lange genug in der Breite der Phaͤ-
nomene herumgetaſtet und mancherley Verſuche gemacht
hatte, ſie zu ſchematiſiren und zu ordnen, fand ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0722" n="688"/>
Natur-Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften abgeben, &#x017F;ey es um die Pha&#x0364;no-<lb/>
mene zu thun, &#x017F;o ge&#x017F;ellte ich wie zum er&#x017F;ten Stu&#x0364;cke<lb/>
meiner Beytra&#x0364;ge ein Paket Charten, &#x017F;o zum zweyten<lb/>
eine Folio-Tafel, auf welcher alle Fa&#x0364;lle von hellen,<lb/>
dunkeln und farbigen Fla&#x0364;chen und Bildern derge&#x017F;talt<lb/>
angebracht waren, daß man &#x017F;ie nur vor &#x017F;ich hin&#x017F;tellen,<lb/>
durch ein Prisma betrachten durfte, um alles wovon<lb/>
in dem Hefte die Rede war, &#x017F;ogleich gewahr zu wer-<lb/>
den. Allein die&#x017F;e Vor&#x017F;orge war gerade der Sache hin-<lb/>
derlich, und der dritte Fehler den ich beging. Denn<lb/>
die&#x017F;e Tafel, vielmehr noch als die Charten, war un-<lb/>
bequem zu packen und zu ver&#x017F;enden, &#x017F;o daß &#x017F;elb&#x017F;t ei-<lb/>
nige aufmerk&#x017F;am gewordne Liebhaber &#x017F;ich beklagten, die<lb/>
Beytra&#x0364;ge neb&#x017F;t dem Apparat durch den Buchhandel nicht<lb/>
erhalten zu ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Ich &#x017F;elb&#x017F;t war zu andern Lebenswei&#x017F;en, Sorgen und<lb/>
Zer&#x017F;treuungen hingeri&#x017F;&#x017F;en. Feldzu&#x0364;ge, Rei&#x017F;en, Aufent-<lb/>
halt an fremden Orten, nahmen mir den gro&#x0364;ßten Theil<lb/>
mehrerer Jahre weg; dennoch hielten mich die einmal<lb/>
angefangenen Betrachtungen, das einmal u&#x0364;bernomme-<lb/>
ne Ge&#x017F;cha&#x0364;ft, denn zum Ge&#x017F;cha&#x0364;ft war die&#x017F;e Be&#x017F;cha&#x0364;fti-<lb/>
gung geworden, auch &#x017F;elb&#x017F;t in den bewegte&#x017F;ten und<lb/>
zer&#x017F;treute&#x017F;ten Momenten fe&#x017F;t; ja ich fand Gelegenheit in<lb/>
der freyen Welt Pha&#x0364;nomene zu bemerken, die meine<lb/>
Ein&#x017F;icht vermehrten und meine An&#x017F;icht erweiterten.</p><lb/>
            <p>Nachdem ich lange genug in der Breite der Pha&#x0364;-<lb/>
nomene herumgeta&#x017F;tet und mancherley Ver&#x017F;uche gemacht<lb/>
hatte, &#x017F;ie zu &#x017F;chemati&#x017F;iren und zu ordnen, fand ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[688/0722] Natur-Wiſſenſchaften abgeben, ſey es um die Phaͤno- mene zu thun, ſo geſellte ich wie zum erſten Stuͤcke meiner Beytraͤge ein Paket Charten, ſo zum zweyten eine Folio-Tafel, auf welcher alle Faͤlle von hellen, dunkeln und farbigen Flaͤchen und Bildern dergeſtalt angebracht waren, daß man ſie nur vor ſich hinſtellen, durch ein Prisma betrachten durfte, um alles wovon in dem Hefte die Rede war, ſogleich gewahr zu wer- den. Allein dieſe Vorſorge war gerade der Sache hin- derlich, und der dritte Fehler den ich beging. Denn dieſe Tafel, vielmehr noch als die Charten, war un- bequem zu packen und zu verſenden, ſo daß ſelbſt ei- nige aufmerkſam gewordne Liebhaber ſich beklagten, die Beytraͤge nebſt dem Apparat durch den Buchhandel nicht erhalten zu koͤnnen. Ich ſelbſt war zu andern Lebensweiſen, Sorgen und Zerſtreuungen hingeriſſen. Feldzuͤge, Reiſen, Aufent- halt an fremden Orten, nahmen mir den groͤßten Theil mehrerer Jahre weg; dennoch hielten mich die einmal angefangenen Betrachtungen, das einmal uͤbernomme- ne Geſchaͤft, denn zum Geſchaͤft war dieſe Beſchaͤfti- gung geworden, auch ſelbſt in den bewegteſten und zerſtreuteſten Momenten feſt; ja ich fand Gelegenheit in der freyen Welt Phaͤnomene zu bemerken, die meine Einſicht vermehrten und meine Anſicht erweiterten. Nachdem ich lange genug in der Breite der Phaͤ- nomene herumgetaſtet und mancherley Verſuche gemacht hatte, ſie zu ſchematiſiren und zu ordnen, fand ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/722
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/722>, abgerufen am 02.06.2024.