Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt! Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen Und sich die goldnen Eimer reichen! Mit segenduftenden Schwingen Vom Himmel durch die Erde dringen, Harmonisch all' das All durchklingen! Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur! Wo faß' ich dich, unendliche Natur? Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens, An denen Himmel und Erde hängt, Dahin die welke Brust sich drängt -- Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht' ich so vergebens? Er schlägt unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des Erdgeistes. Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein! Du, Geist der Erde, bist mir näher; Schon fühl' ich meine Kräfte höher, Schon glüh' ich wie von neuem Wein, Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen, Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen, Mit Stürmen mich herumzuschlagen, Wie alles ſich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt! Wie Himmelskraͤfte auf und nieder ſteigen Und ſich die goldnen Eimer reichen! Mit ſegenduftenden Schwingen Vom Himmel durch die Erde dringen, Harmoniſch all’ das All durchklingen! Welch Schauſpiel! aber ach! ein Schauſpiel nur! Wo faß’ ich dich, unendliche Natur? Euch Bruͤſte, wo? Ihr Quellen alles Lebens, An denen Himmel und Erde haͤngt, Dahin die welke Bruſt ſich draͤngt — Ihr quellt, ihr traͤnkt, und ſchmacht’ ich ſo vergebens? Er ſchlägt unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des Erdgeiſtes. Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein! Du, Geiſt der Erde, biſt mir naͤher; Schon fuͤhl’ ich meine Kraͤfte hoͤher, Schon gluͤh’ ich wie von neuem Wein, Ich fuͤhle Muth, mich in die Welt zu wagen, Der Erde Weh, der Erde Gluͤck zu tragen, Mit Stuͤrmen mich herumzuſchlagen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#FAU"> <pb facs="#f0044" n="38"/> <p>Wie alles ſich zum Ganzen webt,<lb/> Eins in dem andern wirkt und lebt!<lb/> Wie Himmelskraͤfte auf und nieder ſteigen<lb/> Und ſich die goldnen Eimer reichen!<lb/> Mit ſegenduftenden Schwingen<lb/> Vom Himmel durch die Erde dringen,<lb/> Harmoniſch all’ das All durchklingen!</p><lb/> <p>Welch Schauſpiel! aber ach! ein Schauſpiel nur!<lb/> Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?<lb/> Euch Bruͤſte, wo? Ihr Quellen alles Lebens,<lb/> An denen Himmel und Erde haͤngt,<lb/> Dahin die welke Bruſt ſich draͤngt —<lb/> Ihr quellt, ihr traͤnkt, und ſchmacht’ ich ſo vergebens?</p><lb/> <stage>Er ſchlägt unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des<lb/> Erdgeiſtes.</stage><lb/> <p>Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!<lb/> Du, Geiſt der Erde, biſt mir naͤher;<lb/> Schon fuͤhl’ ich meine Kraͤfte hoͤher,<lb/> Schon gluͤh’ ich wie von neuem Wein,<lb/> Ich fuͤhle Muth, mich in die Welt zu wagen,<lb/> Der Erde Weh, der Erde Gluͤck zu tragen,<lb/> Mit Stuͤrmen mich herumzuſchlagen,<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0044]
Wie alles ſich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskraͤfte auf und nieder ſteigen
Und ſich die goldnen Eimer reichen!
Mit ſegenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmoniſch all’ das All durchklingen!
Welch Schauſpiel! aber ach! ein Schauſpiel nur!
Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?
Euch Bruͤſte, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde haͤngt,
Dahin die welke Bruſt ſich draͤngt —
Ihr quellt, ihr traͤnkt, und ſchmacht’ ich ſo vergebens?
Er ſchlägt unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des
Erdgeiſtes.
Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
Du, Geiſt der Erde, biſt mir naͤher;
Schon fuͤhl’ ich meine Kraͤfte hoͤher,
Schon gluͤh’ ich wie von neuem Wein,
Ich fuͤhle Muth, mich in die Welt zu wagen,
Der Erde Weh, der Erde Gluͤck zu tragen,
Mit Stuͤrmen mich herumzuſchlagen,
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