Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite
Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
Du rissest mich von der Verzweiflung los,
Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
Ach! die Erscheinung war so Riesen-groß,
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.

Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew'ger Wahrheit,
Sein selbst genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub, dessen freye Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
Und, schaffend, Götterleben zu genießen
Sich ahndungsvoll vermaß, wie muß ich's büßen!
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.

Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen.
Hab' ich die Kraft dich anzuziehn besessen;
So hatt' ich dich zu halten keine Kraft.
In jenem sel'gen Augenblicke
Ich fühlte mich so klein, so groß,
Du stießest grausam mich zurücke,
Dem aͤrmlichſten von allen Erdenſoͤhnen.
Du riſſeſt mich von der Verzweiflung los,
Die mir die Sinne ſchon zerſtoͤren wollte.
Ach! die Erſcheinung war ſo Rieſen-groß,
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden ſollte.

Ich, Ebenbild der Gottheit, das ſich ſchon
Ganz nah geduͤnkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,
Sein ſelbſt genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgeſtreift den Erdenſohn;
Ich, mehr als Cherub, deſſen freye Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
Und, ſchaffend, Goͤtterleben zu genießen
Sich ahndungsvoll vermaß, wie muß ich’s buͤßen!
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.

Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermeſſen.
Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn beſeſſen;
So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.
In jenem ſel’gen Augenblicke
Ich fuͤhlte mich ſo klein, ſo groß,
Du ſtießeſt grauſam mich zuruͤcke,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#FAU">
            <p><pb facs="#f0053" n="47"/>
Dem a&#x0364;rmlich&#x017F;ten von allen Erden&#x017F;o&#x0364;hnen.<lb/>
Du ri&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t mich von der Verzweiflung los,<lb/>
Die mir die Sinne &#x017F;chon zer&#x017F;to&#x0364;ren wollte.<lb/>
Ach! die Er&#x017F;cheinung war &#x017F;o Rie&#x017F;en-groß,<lb/>
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden &#x017F;ollte.</p><lb/>
            <p>Ich, Ebenbild der Gottheit, das &#x017F;ich &#x017F;chon<lb/>
Ganz nah gedu&#x0364;nkt dem Spiegel ew&#x2019;ger Wahrheit,<lb/>
Sein &#x017F;elb&#x017F;t genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,<lb/>
Und abge&#x017F;treift den Erden&#x017F;ohn;<lb/>
Ich, mehr als Cherub, de&#x017F;&#x017F;en freye Kraft<lb/>
Schon durch die Adern der Natur zu fließen<lb/>
Und, &#x017F;chaffend, Go&#x0364;tterleben zu genießen<lb/>
Sich ahndungsvoll vermaß, wie muß ich&#x2019;s bu&#x0364;ßen!<lb/>
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.</p><lb/>
            <p>Nicht darf ich dir zu gleichen mich verme&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Hab&#x2019; ich die Kraft dich anzuziehn be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
So hatt&#x2019; ich dich zu halten keine Kraft.<lb/>
In jenem &#x017F;el&#x2019;gen Augenblicke<lb/>
Ich fu&#x0364;hlte mich &#x017F;o klein, &#x017F;o groß,<lb/>
Du &#x017F;tieße&#x017F;t grau&#x017F;am mich zuru&#x0364;cke,<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0053] Dem aͤrmlichſten von allen Erdenſoͤhnen. Du riſſeſt mich von der Verzweiflung los, Die mir die Sinne ſchon zerſtoͤren wollte. Ach! die Erſcheinung war ſo Rieſen-groß, Daß ich mich recht als Zwerg empfinden ſollte. Ich, Ebenbild der Gottheit, das ſich ſchon Ganz nah geduͤnkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit, Sein ſelbſt genoß, in Himmelsglanz und Klarheit, Und abgeſtreift den Erdenſohn; Ich, mehr als Cherub, deſſen freye Kraft Schon durch die Adern der Natur zu fließen Und, ſchaffend, Goͤtterleben zu genießen Sich ahndungsvoll vermaß, wie muß ich’s buͤßen! Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft. Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermeſſen. Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn beſeſſen; So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft. In jenem ſel’gen Augenblicke Ich fuͤhlte mich ſo klein, ſo groß, Du ſtießeſt grauſam mich zuruͤcke,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/53
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/53>, abgerufen am 05.12.2024.