Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.
O könntest du in meinem Innern lesen, Wie wenig Vater und Sohn Solch eines Ruhmes werth gewesen! Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann, Der über die Natur und ihre heilgen Kreise, In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise, Mit grillenhafter Mühe sann. Der, in Gesellschaft von Adepten, Sich in die schwarze Küche schloß, Und, nach unendlichen Recepten, Das Widrige zusammengoß. Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer, Im lauen Bad, der Lilie vermählt Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer, Aus einem Brautgemach ins andere gequält. Erschien darauf, mit bunten Farben, Die junge Königin im Glas, Hier war die Arzeney, die Patienten starben, Und niemand fragte: wer genas? So haben wir, mit höllischen Latwergen, In diesen Thälern, diesen Bergen, Weit schlimmer als die Pest getobt.
O koͤnnteſt du in meinem Innern leſen, Wie wenig Vater und Sohn Solch eines Ruhmes werth geweſen! Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann, Der uͤber die Natur und ihre heilgen Kreiſe, In Redlichkeit, jedoch auf ſeine Weiſe, Mit grillenhafter Muͤhe ſann. Der, in Geſellſchaft von Adepten, Sich in die ſchwarze Kuͤche ſchloß, Und, nach unendlichen Recepten, Das Widrige zuſammengoß. Da ward ein rother Leu, ein kuͤhner Freyer, Im lauen Bad, der Lilie vermaͤhlt Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer, Aus einem Brautgemach ins andere gequaͤlt. Erſchien darauf, mit bunten Farben, Die junge Koͤnigin im Glas, Hier war die Arzeney, die Patienten ſtarben, Und niemand fragte: wer genas? So haben wir, mit hoͤlliſchen Latwergen, In dieſen Thaͤlern, dieſen Bergen, Weit ſchlimmer als die Peſt getobt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#FAU"> <p><pb facs="#f0076" n="70"/> O koͤnnteſt du in meinem Innern leſen,<lb/> Wie wenig Vater und Sohn<lb/> Solch eines Ruhmes werth geweſen!<lb/> Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,<lb/> Der uͤber die Natur und ihre heilgen Kreiſe,<lb/> In Redlichkeit, jedoch auf ſeine Weiſe,<lb/> Mit grillenhafter Muͤhe ſann.<lb/> Der, in Geſellſchaft von Adepten,<lb/> Sich in die ſchwarze Kuͤche ſchloß,<lb/> Und, nach unendlichen Recepten,<lb/> Das Widrige zuſammengoß.<lb/> Da ward ein rother Leu, ein kuͤhner Freyer,<lb/> Im lauen Bad, der Lilie vermaͤhlt<lb/> Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,<lb/> Aus einem Brautgemach ins andere gequaͤlt.<lb/> Erſchien darauf, mit bunten Farben,<lb/> Die junge Koͤnigin im Glas,<lb/> Hier war die Arzeney, die Patienten ſtarben,<lb/> Und niemand fragte: wer genas?<lb/> So haben wir, mit hoͤlliſchen Latwergen,<lb/> In dieſen Thaͤlern, dieſen Bergen,<lb/> Weit ſchlimmer als die Peſt getobt.<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0076]
O koͤnnteſt du in meinem Innern leſen,
Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes werth geweſen!
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
Der uͤber die Natur und ihre heilgen Kreiſe,
In Redlichkeit, jedoch auf ſeine Weiſe,
Mit grillenhafter Muͤhe ſann.
Der, in Geſellſchaft von Adepten,
Sich in die ſchwarze Kuͤche ſchloß,
Und, nach unendlichen Recepten,
Das Widrige zuſammengoß.
Da ward ein rother Leu, ein kuͤhner Freyer,
Im lauen Bad, der Lilie vermaͤhlt
Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,
Aus einem Brautgemach ins andere gequaͤlt.
Erſchien darauf, mit bunten Farben,
Die junge Koͤnigin im Glas,
Hier war die Arzeney, die Patienten ſtarben,
Und niemand fragte: wer genas?
So haben wir, mit hoͤlliſchen Latwergen,
In dieſen Thaͤlern, dieſen Bergen,
Weit ſchlimmer als die Peſt getobt.
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/76>, abgerufen am 16.07.2024. |