Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832.Nach unsäglichen Freuden und Qualen Früher Jugendzeit Angefrischt zu gedenken. Panthalis (als Chorführerin). Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad Und wendet nach der Thüre Flügeln euern Blick. Was seh' ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin Mit heftigen Schrittes Regung wieder zu uns her? Was ist es, große Königin, was konnte dir In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß, Erschütterndes begegnen? Du verbirgst es nicht; Denn Widerwillen seh' ich an der Stirne dir, Ein edles Zürnen, das mit Ueberraschung kämpft. Helena (welche die Thürflügel offen gelassen hat, bewegt). Der Tochter Zeus geziemet nicht gemeine Furcht, Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht; Doch das Entsetzen, das dem Schoß der alten Nacht, Vom Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch Wie glühende Wolken aus des Berges Feuerschlund Herauf sich wälzt, erschüttert auch des Helden Brust. So haben heute grauenvoll die Stygischen In's Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich, Entlass'nem Gaste gleich, entfernend scheiden mag. Doch nein! gewichen bin ich her an's Licht, und sollt' Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seyd. Nach unsäglichen Freuden und Qualen Früher Jugendzeit Angefrischt zu gedenken. Panthalis (als Chorführerin). Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad Und wendet nach der Thüre Flügeln euern Blick. Was seh’ ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin Mit heftigen Schrittes Regung wieder zu uns her? Was ist es, große Königin, was konnte dir In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß, Erschütterndes begegnen? Du verbirgst es nicht; Denn Widerwillen seh’ ich an der Stirne dir, Ein edles Zürnen, das mit Ueberraschung kämpft. Helena (welche die Thürflügel offen gelassen hat, bewegt). Der Tochter Zeus geziemet nicht gemeine Furcht, Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht; Doch das Entsetzen, das dem Schoß der alten Nacht, Vom Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch Wie glühende Wolken aus des Berges Feuerschlund Herauf sich wälzt, erschüttert auch des Helden Brust. So haben heute grauenvoll die Stygischen In’s Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich, Entlass’nem Gaste gleich, entfernend scheiden mag. Doch nein! gewichen bin ich her an’s Licht, und sollt’ Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seyd. <TEI> <text> <body> <div type="act" n="1"> <div type="scene" n="2"> <sp> <lg type="poem"> <lg> <pb facs="#f0197" n="185"/> <l rendition="#et">Nach unsäglichen</l><lb/> <l rendition="#et">Freuden und Qualen</l><lb/> <l rendition="#et">Früher Jugendzeit</l><lb/> <l rendition="#et">Angefrischt zu gedenken.</l><lb/> </lg> </lg> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Panthalis</hi> </speaker><lb/> <stage>(als Chorführerin).</stage><lb/> <p>Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad<lb/> Und wendet nach der Thüre Flügeln euern Blick.<lb/> Was seh’ ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin<lb/> Mit heftigen Schrittes Regung wieder zu uns her?<lb/> Was ist es, große Königin, was konnte dir<lb/> In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß,<lb/> Erschütterndes begegnen? Du verbirgst es nicht;<lb/> Denn Widerwillen seh’ ich an der Stirne dir,<lb/> Ein edles Zürnen, das mit Ueberraschung kämpft.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Helena</hi> </speaker><lb/> <stage>(welche die Thürflügel offen gelassen hat, bewegt).</stage><lb/> <p>Der Tochter Zeus geziemet nicht gemeine Furcht,<lb/> Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht;<lb/> Doch das Entsetzen, das dem Schoß der alten Nacht,<lb/> Vom Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch<lb/> Wie glühende Wolken aus des Berges Feuerschlund<lb/> Herauf sich wälzt, erschüttert auch des Helden Brust.<lb/> So haben heute grauenvoll die Stygischen<lb/> In’s Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern<lb/> Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich,<lb/> Entlass’nem Gaste gleich, entfernend scheiden mag.<lb/> Doch nein! gewichen bin ich her an’s Licht, und sollt’<lb/> Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seyd.<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [185/0197]
Nach unsäglichen
Freuden und Qualen
Früher Jugendzeit
Angefrischt zu gedenken.
Panthalis
(als Chorführerin).
Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad
Und wendet nach der Thüre Flügeln euern Blick.
Was seh’ ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin
Mit heftigen Schrittes Regung wieder zu uns her?
Was ist es, große Königin, was konnte dir
In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß,
Erschütterndes begegnen? Du verbirgst es nicht;
Denn Widerwillen seh’ ich an der Stirne dir,
Ein edles Zürnen, das mit Ueberraschung kämpft.
Helena
(welche die Thürflügel offen gelassen hat, bewegt).
Der Tochter Zeus geziemet nicht gemeine Furcht,
Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht;
Doch das Entsetzen, das dem Schoß der alten Nacht,
Vom Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch
Wie glühende Wolken aus des Berges Feuerschlund
Herauf sich wälzt, erschüttert auch des Helden Brust.
So haben heute grauenvoll die Stygischen
In’s Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern
Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich,
Entlass’nem Gaste gleich, entfernend scheiden mag.
Doch nein! gewichen bin ich her an’s Licht, und sollt’
Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seyd.
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