Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

gebracht werden konnte. Genug, schon da¬
mals war das Gewahrwerden parteyischer
Ungerechtigkeit dem Knaben sehr unangenehm,
ja schädlich, indem es ihn gewöhnte, sich von
geliebten und geschätzten Personen zu entfernen.
Die immer auf einander folgenden Kriegs¬
thaten und Begebenheiten ließen den Par¬
teyen weder Ruhe noch Rast. Wir fanden
ein verdrießliches Behagen, jene eingebildeten
Uebel und willkührlichen Händel immer von
frischem wieder zu erregen und zu schärfen,
und so fuhren wir fort uns unter einander zu
quälen, bis einige Jahre darauf die Franzo¬
sen Frankfurt besetzten und uns wahre Unbe¬
quemlichkeit in die Häuser brachten.

Ob nun gleich die Meisten sich dieser wich¬
tigen, in der Ferne vorgehenden Ereignisse
nur zu einer leidenschaftlichen Unterhaltung
bedienten; so waren doch auch andre, welche
den Ernst dieser Zeiten wohl einsahen, und
befürchteten, daß bey einer Theilnahme Frank¬

gebracht werden konnte. Genug, ſchon da¬
mals war das Gewahrwerden parteyiſcher
Ungerechtigkeit dem Knaben ſehr unangenehm,
ja ſchaͤdlich, indem es ihn gewoͤhnte, ſich von
geliebten und geſchaͤtzten Perſonen zu entfernen.
Die immer auf einander folgenden Kriegs¬
thaten und Begebenheiten ließen den Par¬
teyen weder Ruhe noch Raſt. Wir fanden
ein verdrießliches Behagen, jene eingebildeten
Uebel und willkuͤhrlichen Haͤndel immer von
friſchem wieder zu erregen und zu ſchaͤrfen,
und ſo fuhren wir fort uns unter einander zu
quaͤlen, bis einige Jahre darauf die Franzo¬
ſen Frankfurt beſetzten und uns wahre Unbe¬
quemlichkeit in die Haͤuſer brachten.

Ob nun gleich die Meiſten ſich dieſer wich¬
tigen, in der Ferne vorgehenden Ereigniſſe
nur zu einer leidenſchaftlichen Unterhaltung
bedienten; ſo waren doch auch andre, welche
den Ernſt dieſer Zeiten wohl einſahen, und
befuͤrchteten, daß bey einer Theilnahme Frank¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0114" n="98"/>
gebracht werden konnte. Genug, &#x017F;chon da¬<lb/>
mals war das Gewahrwerden parteyi&#x017F;cher<lb/>
Ungerechtigkeit dem Knaben &#x017F;ehr unangenehm,<lb/>
ja &#x017F;cha&#x0364;dlich, indem es ihn gewo&#x0364;hnte, &#x017F;ich von<lb/>
geliebten und ge&#x017F;cha&#x0364;tzten Per&#x017F;onen zu entfernen.<lb/>
Die immer auf einander folgenden Kriegs¬<lb/>
thaten und Begebenheiten ließen den Par¬<lb/>
teyen weder Ruhe noch Ra&#x017F;t. Wir fanden<lb/>
ein verdrießliches Behagen, jene eingebildeten<lb/>
Uebel und willku&#x0364;hrlichen Ha&#x0364;ndel immer von<lb/>
fri&#x017F;chem wieder zu erregen und zu &#x017F;cha&#x0364;rfen,<lb/>
und &#x017F;o fuhren wir fort uns unter einander zu<lb/>
qua&#x0364;len, bis einige Jahre darauf die Franzo¬<lb/>
&#x017F;en Frankfurt be&#x017F;etzten und uns wahre Unbe¬<lb/>
quemlichkeit in die Ha&#x0364;u&#x017F;er brachten.</p><lb/>
        <p>Ob nun gleich die Mei&#x017F;ten &#x017F;ich die&#x017F;er wich¬<lb/>
tigen, in der Ferne vorgehenden Ereigni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
nur zu einer leiden&#x017F;chaftlichen Unterhaltung<lb/>
bedienten; &#x017F;o waren doch auch andre, welche<lb/>
den Ern&#x017F;t die&#x017F;er Zeiten wohl ein&#x017F;ahen, und<lb/>
befu&#x0364;rchteten, daß bey einer Theilnahme Frank¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0114] gebracht werden konnte. Genug, ſchon da¬ mals war das Gewahrwerden parteyiſcher Ungerechtigkeit dem Knaben ſehr unangenehm, ja ſchaͤdlich, indem es ihn gewoͤhnte, ſich von geliebten und geſchaͤtzten Perſonen zu entfernen. Die immer auf einander folgenden Kriegs¬ thaten und Begebenheiten ließen den Par¬ teyen weder Ruhe noch Raſt. Wir fanden ein verdrießliches Behagen, jene eingebildeten Uebel und willkuͤhrlichen Haͤndel immer von friſchem wieder zu erregen und zu ſchaͤrfen, und ſo fuhren wir fort uns unter einander zu quaͤlen, bis einige Jahre darauf die Franzo¬ ſen Frankfurt beſetzten und uns wahre Unbe¬ quemlichkeit in die Haͤuſer brachten. Ob nun gleich die Meiſten ſich dieſer wich¬ tigen, in der Ferne vorgehenden Ereigniſſe nur zu einer leidenſchaftlichen Unterhaltung bedienten; ſo waren doch auch andre, welche den Ernſt dieſer Zeiten wohl einſahen, und befuͤrchteten, daß bey einer Theilnahme Frank¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/114
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/114>, abgerufen am 21.05.2024.