Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Daniel in der Löwengrube, seine
Reliquien schildern durchaus die Lage,
in welcher er sich zwar nicht gefoltert, aber
doch immer geklemmt fühlte. Sie deuten
sämtlich auf eine Ungeduld in einem Zu¬
stand, mit dessen Verhältnissen man sich nicht
versöhnen und den man doch nicht los wer¬
den kann. Bey dieser Art zu denken und
zu empfinden mußte er freylich mehrmals
andere Dienste suchen, an welchen es ihm
seine große Gewandtheit nicht fehlen ließ.
Ich erinnere mich seiner als eines angeneh¬
men, beweglichen und dabey zarten Mannes.

Aus der Ferne machte jedoch der Name
Klopstock auch schon auf uns eine große
Wirkung. Im Anfang wunderte man sich,
wie ein so vortrefflicher Mann so wunderlich
heißen könne; doch gewöhnte man sich bald
daran und dachte nicht mehr an die Bedeu¬
tung dieser Sylben. In meines Vaters
Bibliothek hatte ich bisher nur die frühern,

Daniel in der Loͤwengrube, ſeine
Reliquien ſchildern durchaus die Lage,
in welcher er ſich zwar nicht gefoltert, aber
doch immer geklemmt fuͤhlte. Sie deuten
ſaͤmtlich auf eine Ungeduld in einem Zu¬
ſtand, mit deſſen Verhaͤltniſſen man ſich nicht
verſoͤhnen und den man doch nicht los wer¬
den kann. Bey dieſer Art zu denken und
zu empfinden mußte er freylich mehrmals
andere Dienſte ſuchen, an welchen es ihm
ſeine große Gewandtheit nicht fehlen ließ.
Ich erinnere mich ſeiner als eines angeneh¬
men, beweglichen und dabey zarten Mannes.

Aus der Ferne machte jedoch der Name
Klopſtock auch ſchon auf uns eine große
Wirkung. Im Anfang wunderte man ſich,
wie ein ſo vortrefflicher Mann ſo wunderlich
heißen koͤnne; doch gewoͤhnte man ſich bald
daran und dachte nicht mehr an die Bedeu¬
tung dieſer Sylben. In meines Vaters
Bibliothek hatte ich bisher nur die fruͤhern,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0190" n="174"/><hi rendition="#g">Daniel in der Lo&#x0364;wengrube</hi>, &#x017F;eine<lb/><hi rendition="#g">Reliquien</hi> &#x017F;childern durchaus die Lage,<lb/>
in welcher er &#x017F;ich zwar nicht gefoltert, aber<lb/>
doch immer geklemmt fu&#x0364;hlte. Sie deuten<lb/>
&#x017F;a&#x0364;mtlich auf eine Ungeduld in einem Zu¬<lb/>
&#x017F;tand, mit de&#x017F;&#x017F;en Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en man &#x017F;ich nicht<lb/>
ver&#x017F;o&#x0364;hnen und den man doch nicht los wer¬<lb/>
den kann. Bey die&#x017F;er Art zu denken und<lb/>
zu empfinden mußte er freylich mehrmals<lb/>
andere Dien&#x017F;te &#x017F;uchen, an welchen es ihm<lb/>
&#x017F;eine große Gewandtheit nicht fehlen ließ.<lb/>
Ich erinnere mich &#x017F;einer als eines angeneh¬<lb/>
men, beweglichen und dabey zarten Mannes.</p><lb/>
          <p>Aus der Ferne machte jedoch der Name<lb/><hi rendition="#g">Klop&#x017F;tock</hi> auch &#x017F;chon auf uns eine große<lb/>
Wirkung. Im Anfang wunderte man &#x017F;ich,<lb/>
wie ein &#x017F;o vortrefflicher Mann &#x017F;o wunderlich<lb/>
heißen ko&#x0364;nne; doch gewo&#x0364;hnte man &#x017F;ich bald<lb/>
daran und dachte nicht mehr an die Bedeu¬<lb/>
tung die&#x017F;er Sylben. In meines Vaters<lb/>
Bibliothek hatte ich bisher nur die fru&#x0364;hern,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0190] Daniel in der Loͤwengrube, ſeine Reliquien ſchildern durchaus die Lage, in welcher er ſich zwar nicht gefoltert, aber doch immer geklemmt fuͤhlte. Sie deuten ſaͤmtlich auf eine Ungeduld in einem Zu¬ ſtand, mit deſſen Verhaͤltniſſen man ſich nicht verſoͤhnen und den man doch nicht los wer¬ den kann. Bey dieſer Art zu denken und zu empfinden mußte er freylich mehrmals andere Dienſte ſuchen, an welchen es ihm ſeine große Gewandtheit nicht fehlen ließ. Ich erinnere mich ſeiner als eines angeneh¬ men, beweglichen und dabey zarten Mannes. Aus der Ferne machte jedoch der Name Klopſtock auch ſchon auf uns eine große Wirkung. Im Anfang wunderte man ſich, wie ein ſo vortrefflicher Mann ſo wunderlich heißen koͤnne; doch gewoͤhnte man ſich bald daran und dachte nicht mehr an die Bedeu¬ tung dieſer Sylben. In meines Vaters Bibliothek hatte ich bisher nur die fruͤhern,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/190
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/190>, abgerufen am 24.11.2024.