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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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schichte, an der sich besonders die schalkischen
Urheber bis an ihr Lebensende ergetzten.

Meines Vaters Mutter, bey der wir ei¬
gentlich im Hause wohnten, lebte in einem gro¬
ßen Zimmer hinten hinaus, unmittelbar an
der Hausflur, und wir pflegten unsere Spiele
bis an ihren Sessel, ja wenn sie krank war,
bis an ihr Bett hin auszudehnen. Ich erin¬
nere mich ihrer gleichsam als eines Geistes, als
einer schönen, hagern, immer weiß und rein¬
lich gekleideten Frau. Sanft, freundlich, wohl¬
wollend, ist sie mir im Gedächtniß geblieben.

Wir hatten die Straße, in welcher unser
Haus lag, den Hirschgraben nennen hören;
da wir aber weder Graben noch Hirsche sahen,
so wollten wir diesen Ausdruck erklärt wissen.
Man erzählte sodann, unser Haus stehe auf
einem Raum, der sonst außerhalb der Stadt
gelegen, und da wo jetzt die Straße sich befinde,
sey ehmals ein Graben gewesen, in welchem eine

ſchichte, an der ſich beſonders die ſchalkiſchen
Urheber bis an ihr Lebensende ergetzten.

Meines Vaters Mutter, bey der wir ei¬
gentlich im Hauſe wohnten, lebte in einem gro¬
ßen Zimmer hinten hinaus, unmittelbar an
der Hausflur, und wir pflegten unſere Spiele
bis an ihren Seſſel, ja wenn ſie krank war,
bis an ihr Bett hin auszudehnen. Ich erin¬
nere mich ihrer gleichſam als eines Geiſtes, als
einer ſchoͤnen, hagern, immer weiß und rein¬
lich gekleideten Frau. Sanft, freundlich, wohl¬
wollend, iſt ſie mir im Gedaͤchtniß geblieben.

Wir hatten die Straße, in welcher unſer
Haus lag, den Hirſchgraben nennen hoͤren;
da wir aber weder Graben noch Hirſche ſahen,
ſo wollten wir dieſen Ausdruck erklaͤrt wiſſen.
Man erzaͤhlte ſodann, unſer Haus ſtehe auf
einem Raum, der ſonſt außerhalb der Stadt
gelegen, und da wo jetzt die Straße ſich befinde,
ſey ehmals ein Graben geweſen, in welchem eine

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[8/0024] ſchichte, an der ſich beſonders die ſchalkiſchen Urheber bis an ihr Lebensende ergetzten. Meines Vaters Mutter, bey der wir ei¬ gentlich im Hauſe wohnten, lebte in einem gro¬ ßen Zimmer hinten hinaus, unmittelbar an der Hausflur, und wir pflegten unſere Spiele bis an ihren Seſſel, ja wenn ſie krank war, bis an ihr Bett hin auszudehnen. Ich erin¬ nere mich ihrer gleichſam als eines Geiſtes, als einer ſchoͤnen, hagern, immer weiß und rein¬ lich gekleideten Frau. Sanft, freundlich, wohl¬ wollend, iſt ſie mir im Gedaͤchtniß geblieben. Wir hatten die Straße, in welcher unſer Haus lag, den Hirſchgraben nennen hoͤren; da wir aber weder Graben noch Hirſche ſahen, ſo wollten wir dieſen Ausdruck erklaͤrt wiſſen. Man erzaͤhlte ſodann, unſer Haus ſtehe auf einem Raum, der ſonſt außerhalb der Stadt gelegen, und da wo jetzt die Straße ſich befinde, ſey ehmals ein Graben geweſen, in welchem eine

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/24>, abgerufen am 30.04.2024.