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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Häuser vom Roßmarkt her weitläufige Hin¬
tergebäude und große Gärten sich zueigneten,
wir aber uns durch eine ziemlich hohe Mauer
unsres Hofes von diesen so nah gelegenen
Paradiesen ausgeschlossen sahen.

Im zweyten Stock befand sich ein Zimmer,
welches man das Gartenzimmer nannte, weil
man sich daselbst durch wenige Gewächse vor
dem Fenster den Mangel eines Gartens zu er¬
setzen gesucht hatte. Dort war, wie ich her¬
anwuchs, mein liebster, zwar nicht trauriger,
aber doch sehnsüchtiger Aufenthalt. Ueber jene
Gärten hinaus, über Stadtmauern und Wälle
sah man in eine schöne fruchtbare Ebene; es ist
die, welche sich nach Höchst hinzieht. Dort
lernte ich Sommerszeit gewöhnlich meine Lec¬
tionen, wartete die Gewitter ab, und konnte
mich an der untergehenden Sonne, gegen wel¬
che die Fenster gerade gerichtet waren, nicht satt
genug sehen. Da ich aber zu gleicher Zeit die
Nachbarn in ihren Gärten wandeln und ihre

Haͤuſer vom Roßmarkt her weitlaͤufige Hin¬
tergebaͤude und große Gaͤrten ſich zueigneten,
wir aber uns durch eine ziemlich hohe Mauer
unſres Hofes von dieſen ſo nah gelegenen
Paradieſen ausgeſchloſſen ſahen.

Im zweyten Stock befand ſich ein Zimmer,
welches man das Gartenzimmer nannte, weil
man ſich daſelbſt durch wenige Gewaͤchſe vor
dem Fenſter den Mangel eines Gartens zu er¬
ſetzen geſucht hatte. Dort war, wie ich her¬
anwuchs, mein liebſter, zwar nicht trauriger,
aber doch ſehnſuͤchtiger Aufenthalt. Ueber jene
Gaͤrten hinaus, uͤber Stadtmauern und Waͤlle
ſah man in eine ſchoͤne fruchtbare Ebene; es iſt
die, welche ſich nach Hoͤchſt hinzieht. Dort
lernte ich Sommerszeit gewoͤhnlich meine Lec¬
tionen, wartete die Gewitter ab, und konnte
mich an der untergehenden Sonne, gegen wel¬
che die Fenſter gerade gerichtet waren, nicht ſatt
genug ſehen. Da ich aber zu gleicher Zeit die
Nachbarn in ihren Gaͤrten wandeln und ihre

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[10/0026] Haͤuſer vom Roßmarkt her weitlaͤufige Hin¬ tergebaͤude und große Gaͤrten ſich zueigneten, wir aber uns durch eine ziemlich hohe Mauer unſres Hofes von dieſen ſo nah gelegenen Paradieſen ausgeſchloſſen ſahen. Im zweyten Stock befand ſich ein Zimmer, welches man das Gartenzimmer nannte, weil man ſich daſelbſt durch wenige Gewaͤchſe vor dem Fenſter den Mangel eines Gartens zu er¬ ſetzen geſucht hatte. Dort war, wie ich her¬ anwuchs, mein liebſter, zwar nicht trauriger, aber doch ſehnſuͤchtiger Aufenthalt. Ueber jene Gaͤrten hinaus, uͤber Stadtmauern und Waͤlle ſah man in eine ſchoͤne fruchtbare Ebene; es iſt die, welche ſich nach Hoͤchſt hinzieht. Dort lernte ich Sommerszeit gewoͤhnlich meine Lec¬ tionen, wartete die Gewitter ab, und konnte mich an der untergehenden Sonne, gegen wel¬ che die Fenſter gerade gerichtet waren, nicht ſatt genug ſehen. Da ich aber zu gleicher Zeit die Nachbarn in ihren Gaͤrten wandeln und ihre

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/26>, abgerufen am 30.04.2024.