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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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tigkeit gar nicht vertragen; und so mußten
die benetzten Blätter sorgfältig abgewischt und
getrocknet werden, welches denn doch nicht
immer so genau geschehen konnte, und aus
dieser oder vielleicht auch einer andern Ur¬
sache kamen mancherley Krankheiten unter
die Heerde, wodurch die armen Creaturen
zu Tausenden hingerafft wurden. Die dar¬
aus entstehende Fäulniß erregte einen wirk¬
lich pestartigen Geruch, und da man die
Todten und Kranken wegschaffen und von
den Gesunden absondern mußte, um nur ei¬
nige zu retten; so war es in der That ein
äußerst beschwerliches und widerliches Ge¬
schäft, das uns Kindern manche böse Stunde
verursachte.

Nachdem wir nun eines Jahrs die schön¬
sten Frühlings- und Sommerwochen mit
Wartung der Seidenwürmer hingebracht,
mußten wir dem Vater in einem andern Ge¬
schäft beystehen, das, obgleich einfacher, uns

tigkeit gar nicht vertragen; und ſo mußten
die benetzten Blaͤtter ſorgfaͤltig abgewiſcht und
getrocknet werden, welches denn doch nicht
immer ſo genau geſchehen konnte, und aus
dieſer oder vielleicht auch einer andern Ur¬
ſache kamen mancherley Krankheiten unter
die Heerde, wodurch die armen Creaturen
zu Tauſenden hingerafft wurden. Die dar¬
aus entſtehende Faͤulniß erregte einen wirk¬
lich peſtartigen Geruch, und da man die
Todten und Kranken wegſchaffen und von
den Geſunden abſondern mußte, um nur ei¬
nige zu retten; ſo war es in der That ein
aͤußerſt beſchwerliches und widerliches Ge¬
ſchaͤft, das uns Kindern manche boͤſe Stunde
verurſachte.

Nachdem wir nun eines Jahrs die ſchoͤn¬
ſten Fruͤhlings- und Sommerwochen mit
Wartung der Seidenwuͤrmer hingebracht,
mußten wir dem Vater in einem andern Ge¬
ſchaͤft beyſtehen, das, obgleich einfacher, uns

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[281/0297] tigkeit gar nicht vertragen; und ſo mußten die benetzten Blaͤtter ſorgfaͤltig abgewiſcht und getrocknet werden, welches denn doch nicht immer ſo genau geſchehen konnte, und aus dieſer oder vielleicht auch einer andern Ur¬ ſache kamen mancherley Krankheiten unter die Heerde, wodurch die armen Creaturen zu Tauſenden hingerafft wurden. Die dar¬ aus entſtehende Faͤulniß erregte einen wirk¬ lich peſtartigen Geruch, und da man die Todten und Kranken wegſchaffen und von den Geſunden abſondern mußte, um nur ei¬ nige zu retten; ſo war es in der That ein aͤußerſt beſchwerliches und widerliches Ge¬ ſchaͤft, das uns Kindern manche boͤſe Stunde verurſachte. Nachdem wir nun eines Jahrs die ſchoͤn¬ ſten Fruͤhlings- und Sommerwochen mit Wartung der Seidenwuͤrmer hingebracht, mußten wir dem Vater in einem andern Ge¬ ſchaͤft beyſtehen, das, obgleich einfacher, uns

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/297>, abgerufen am 24.11.2024.