so nahm ich mir vor sorgfältiger nachzuschrei¬ ben, welches mir um so eher gelang, als ich auf einem zum Hören sehr bequemen, übri¬ gens aber verborgenen Sitz schon geringere Versuche gemacht hatte. Ich war höchst auf¬ merksam und behend; in dem Augenblick daß er Amen sagte, eilte ich aus der Kirche und wendete ein paar Stunden daran, das was ich auf dem Papier und im Gedächtniß fixirt hatte, eilig zu dictiren, so daß ich die geschriebene Predigt noch vor Tische überrei¬ chen konnte. Mein Vater war sehr glorios über dieses Gelingen, und der gute Haus¬ freund, der eben zu Tische kam, mußte die Freude theilen. Dieser war mir ohnehin höchst günstig, weil ich mir seinen Messias so zu eigen gemacht hatte, daß ich ihm, bey meinen öftern Besuchen, um Siegelabdrücke für meine Wappensammlung zu holen, große Stellen davon vortragen konnte, so daß ihm die Thränen in den Augen standen.
I. 22
ſo nahm ich mir vor ſorgfaͤltiger nachzuſchrei¬ ben, welches mir um ſo eher gelang, als ich auf einem zum Hoͤren ſehr bequemen, uͤbri¬ gens aber verborgenen Sitz ſchon geringere Verſuche gemacht hatte. Ich war hoͤchſt auf¬ merkſam und behend; in dem Augenblick daß er Amen ſagte, eilte ich aus der Kirche und wendete ein paar Stunden daran, das was ich auf dem Papier und im Gedaͤchtniß fixirt hatte, eilig zu dictiren, ſo daß ich die geſchriebene Predigt noch vor Tiſche uͤberrei¬ chen konnte. Mein Vater war ſehr glorios uͤber dieſes Gelingen, und der gute Haus¬ freund, der eben zu Tiſche kam, mußte die Freude theilen. Dieſer war mir ohnehin hoͤchſt guͤnſtig, weil ich mir ſeinen Meſſias ſo zu eigen gemacht hatte, daß ich ihm, bey meinen oͤftern Beſuchen, um Siegelabdruͤcke fuͤr meine Wappenſammlung zu holen, große Stellen davon vortragen konnte, ſo daß ihm die Thraͤnen in den Augen ſtanden.
I. 22
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0353"n="337"/>ſo nahm ich mir vor ſorgfaͤltiger nachzuſchrei¬<lb/>
ben, welches mir um ſo eher gelang, als ich<lb/>
auf einem zum Hoͤren ſehr bequemen, uͤbri¬<lb/>
gens aber verborgenen Sitz ſchon geringere<lb/>
Verſuche gemacht hatte. Ich war hoͤchſt auf¬<lb/>
merkſam und behend; in dem Augenblick<lb/>
daß er Amen ſagte, eilte ich aus der Kirche<lb/>
und wendete ein paar Stunden daran, das<lb/>
was ich auf dem Papier und im Gedaͤchtniß<lb/>
fixirt hatte, eilig zu dictiren, ſo daß ich die<lb/>
geſchriebene Predigt noch vor Tiſche uͤberrei¬<lb/>
chen konnte. Mein Vater war ſehr glorios<lb/>
uͤber dieſes Gelingen, und der gute Haus¬<lb/>
freund, der eben zu Tiſche kam, mußte die<lb/>
Freude theilen. Dieſer war mir ohnehin<lb/>
hoͤchſt guͤnſtig, weil ich mir ſeinen Meſſias<lb/>ſo zu eigen gemacht hatte, daß ich ihm, bey<lb/>
meinen oͤftern Beſuchen, um Siegelabdruͤcke<lb/>
fuͤr meine Wappenſammlung zu holen, große<lb/>
Stellen davon vortragen konnte, ſo daß ihm<lb/>
die Thraͤnen in den Augen ſtanden.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">I. 22<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[337/0353]
ſo nahm ich mir vor ſorgfaͤltiger nachzuſchrei¬
ben, welches mir um ſo eher gelang, als ich
auf einem zum Hoͤren ſehr bequemen, uͤbri¬
gens aber verborgenen Sitz ſchon geringere
Verſuche gemacht hatte. Ich war hoͤchſt auf¬
merkſam und behend; in dem Augenblick
daß er Amen ſagte, eilte ich aus der Kirche
und wendete ein paar Stunden daran, das
was ich auf dem Papier und im Gedaͤchtniß
fixirt hatte, eilig zu dictiren, ſo daß ich die
geſchriebene Predigt noch vor Tiſche uͤberrei¬
chen konnte. Mein Vater war ſehr glorios
uͤber dieſes Gelingen, und der gute Haus¬
freund, der eben zu Tiſche kam, mußte die
Freude theilen. Dieſer war mir ohnehin
hoͤchſt guͤnſtig, weil ich mir ſeinen Meſſias
ſo zu eigen gemacht hatte, daß ich ihm, bey
meinen oͤftern Beſuchen, um Siegelabdruͤcke
fuͤr meine Wappenſammlung zu holen, große
Stellen davon vortragen konnte, ſo daß ihm
die Thraͤnen in den Augen ſtanden.
I. 22
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/353>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.