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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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auf viele Wochen in Unruhe. Wir mußten
Zeugen von verschiedenen Executionen seyn,
und es ist wohl werth zu gedenken, daß ich
auch bey Verbrennung eines Buchs gegenwär¬
tig gewesen bin. Es war der Verlag eines
französischen comischen Romans, der zwar
den Staat, aber nicht Religion und Sitten
schonte. Es hatte wirklich etwas Fürchterli¬
ches, eine Strafe an einem leblosen Wesen
ausgeübt zu sehen. Die Ballen platzten im
Feuer, und wurden durch Ofengabeln aus ein¬
ander geschürt und mit den Flammen mehr
in Berührung gebracht. Es dauerte nicht
lange, so flogen die angebrannten Blätter in
der Luft herum, und die Menge haschte
begierig darnach. Auch ruhten wir nicht, bis
wir ein Exemplar auftrieben, und es waren
nicht wenige die sich das verbotne Vergnügen
gleichfalls zu verschaffen wußten. Ja, wenn
es dem Autor um Publicität zu thun war,
so hätte er selbst nicht besser dafür sorgen
können.

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auf viele Wochen in Unruhe. Wir mußten
Zeugen von verſchiedenen Executionen ſeyn,
und es iſt wohl werth zu gedenken, daß ich
auch bey Verbrennung eines Buchs gegenwaͤr¬
tig geweſen bin. Es war der Verlag eines
franzoͤſiſchen comiſchen Romans, der zwar
den Staat, aber nicht Religion und Sitten
ſchonte. Es hatte wirklich etwas Fuͤrchterli¬
ches, eine Strafe an einem lebloſen Weſen
ausgeuͤbt zu ſehen. Die Ballen platzten im
Feuer, und wurden durch Ofengabeln aus ein¬
ander geſchuͤrt und mit den Flammen mehr
in Beruͤhrung gebracht. Es dauerte nicht
lange, ſo flogen die angebrannten Blaͤtter in
der Luft herum, und die Menge haſchte
begierig darnach. Auch ruhten wir nicht, bis
wir ein Exemplar auftrieben, und es waren
nicht wenige die ſich das verbotne Vergnuͤgen
gleichfalls zu verſchaffen wußten. Ja, wenn
es dem Autor um Publicitaͤt zu thun war,
ſo haͤtte er ſelbſt nicht beſſer dafuͤr ſorgen
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[353/0369] auf viele Wochen in Unruhe. Wir mußten Zeugen von verſchiedenen Executionen ſeyn, und es iſt wohl werth zu gedenken, daß ich auch bey Verbrennung eines Buchs gegenwaͤr¬ tig geweſen bin. Es war der Verlag eines franzoͤſiſchen comiſchen Romans, der zwar den Staat, aber nicht Religion und Sitten ſchonte. Es hatte wirklich etwas Fuͤrchterli¬ ches, eine Strafe an einem lebloſen Weſen ausgeuͤbt zu ſehen. Die Ballen platzten im Feuer, und wurden durch Ofengabeln aus ein¬ ander geſchuͤrt und mit den Flammen mehr in Beruͤhrung gebracht. Es dauerte nicht lange, ſo flogen die angebrannten Blaͤtter in der Luft herum, und die Menge haſchte begierig darnach. Auch ruhten wir nicht, bis wir ein Exemplar auftrieben, und es waren nicht wenige die ſich das verbotne Vergnuͤgen gleichfalls zu verſchaffen wußten. Ja, wenn es dem Autor um Publicitaͤt zu thun war, ſo haͤtte er ſelbſt nicht beſſer dafuͤr ſorgen koͤnnen. l. 23

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/369>, abgerufen am 27.11.2024.