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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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hätte in seiner burgemeisterlichen Festtracht
gar wohl den angesehnsten französischen Prä¬
laten vorstellen können. Nach seinen acade¬
mischen Studien hatte er sich in Hof- und
Staatsgeschäften umgethan, und seine Reisen
auch zu diesen Zwecken eingeleitet. Er hielt
mich besonders werth und sprach oft mit mir
von den Dingen, die ihn vorzüglich interes¬
sirten. Ich war um ihn, als er eben seine
Erläuterung der güldnen Bulle schrieb;
da er mir denn den Werth und die Würde
dieses Documents sehr deutlich herauszusetzen
wußte. Auch dadurch wurde meine Einbil¬
dungskraft in jene wilden und unruhigen Zei¬
ten zurückgeführt, daß ich nicht unterlassen
konnte, dasjenige was er mir geschichtlich er¬
zählte, gleichsam als gegenwärtig, mit Aus¬
malung der Character und Umstände und
manchmal sogar mimisch darzustellen; woran
er denn große Freude hatte, und durch sei¬
nen Beyfall mich zur Wiederholung aufregte.

haͤtte in ſeiner burgemeiſterlichen Feſttracht
gar wohl den angeſehnſten franzoͤſiſchen Praͤ¬
laten vorſtellen koͤnnen. Nach ſeinen acade¬
miſchen Studien hatte er ſich in Hof- und
Staatsgeſchaͤften umgethan, und ſeine Reiſen
auch zu dieſen Zwecken eingeleitet. Er hielt
mich beſonders werth und ſprach oft mit mir
von den Dingen, die ihn vorzuͤglich intereſ¬
ſirten. Ich war um ihn, als er eben ſeine
Erlaͤuterung der guͤldnen Bulle ſchrieb;
da er mir denn den Werth und die Wuͤrde
dieſes Documents ſehr deutlich herauszuſetzen
wußte. Auch dadurch wurde meine Einbil¬
dungskraft in jene wilden und unruhigen Zei¬
ten zuruͤckgefuͤhrt, daß ich nicht unterlaſſen
konnte, dasjenige was er mir geſchichtlich er¬
zaͤhlte, gleichſam als gegenwaͤrtig, mit Aus¬
malung der Character und Umſtaͤnde und
manchmal ſogar mimiſch darzuſtellen; woran
er denn große Freude hatte, und durch ſei¬
nen Beyfall mich zur Wiederholung aufregte.

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[370/0386] haͤtte in ſeiner burgemeiſterlichen Feſttracht gar wohl den angeſehnſten franzoͤſiſchen Praͤ¬ laten vorſtellen koͤnnen. Nach ſeinen acade¬ miſchen Studien hatte er ſich in Hof- und Staatsgeſchaͤften umgethan, und ſeine Reiſen auch zu dieſen Zwecken eingeleitet. Er hielt mich beſonders werth und ſprach oft mit mir von den Dingen, die ihn vorzuͤglich intereſ¬ ſirten. Ich war um ihn, als er eben ſeine Erlaͤuterung der guͤldnen Bulle ſchrieb; da er mir denn den Werth und die Wuͤrde dieſes Documents ſehr deutlich herauszuſetzen wußte. Auch dadurch wurde meine Einbil¬ dungskraft in jene wilden und unruhigen Zei¬ ten zuruͤckgefuͤhrt, daß ich nicht unterlaſſen konnte, dasjenige was er mir geſchichtlich er¬ zaͤhlte, gleichſam als gegenwaͤrtig, mit Aus¬ malung der Character und Umſtaͤnde und manchmal ſogar mimiſch darzuſtellen; woran er denn große Freude hatte, und durch ſei¬ nen Beyfall mich zur Wiederholung aufregte.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/386>, abgerufen am 25.11.2024.