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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Frankfurt als bey den Reichsgerichten zu füh¬
ren wußte, war wohl schon sechzig Jahr alt,
als ich mit seinem Sohne Schreibstunde hatte
und dadurch ins Haus kam. Seine Gestalt
war groß, lang ohne hager, breit ohne beleibt
zu seyn, Sein Gesicht, nicht allein von den
Blattern entstellt, sondern auch des einen
Auges beraubt, sah man die erste Zeit nur
mit Apprehension. Er trug auf einem kahlen
Haupte immer eine ganz weiße Glockenmütze,
oben mit einem Bande gebunden. Seine
Schlafröcke von Kalmank oder Damast, waren
durchaus sehr sauber. Er bewohnte eine gar
heitre Zimmerflucht auf gleicher Erde an der
Allee, und die Reinlichkeit seiner Umgebung
entsprach dieser Heiterkeit. Die größte Ord¬
nung seiner Papiere, Bücher, Landcharten
machte einen angenehmen Eindruck. Sein
Sohn, Heinrich Sebastian, der sich
durch verschiedene Schriften im Kunstfach
bekannt gemacht, versprach in seiner Jugend
wenig. Gutmüthig, aber täppisch, nicht roh,

Frankfurt als bey den Reichsgerichten zu fuͤh¬
ren wußte, war wohl ſchon ſechzig Jahr alt,
als ich mit ſeinem Sohne Schreibſtunde hatte
und dadurch ins Haus kam. Seine Geſtalt
war groß, lang ohne hager, breit ohne beleibt
zu ſeyn, Sein Geſicht, nicht allein von den
Blattern entſtellt, ſondern auch des einen
Auges beraubt, ſah man die erſte Zeit nur
mit Apprehenſion. Er trug auf einem kahlen
Haupte immer eine ganz weiße Glockenmuͤtze,
oben mit einem Bande gebunden. Seine
Schlafroͤcke von Kalmank oder Damaſt, waren
durchaus ſehr ſauber. Er bewohnte eine gar
heitre Zimmerflucht auf gleicher Erde an der
Allee, und die Reinlichkeit ſeiner Umgebung
entſprach dieſer Heiterkeit. Die groͤßte Ord¬
nung ſeiner Papiere, Buͤcher, Landcharten
machte einen angenehmen Eindruck. Sein
Sohn, Heinrich Sebaſtian, der ſich
durch verſchiedene Schriften im Kunſtfach
bekannt gemacht, verſprach in ſeiner Jugend
wenig. Gutmuͤthig, aber taͤppiſch, nicht roh,

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[379/0395] Frankfurt als bey den Reichsgerichten zu fuͤh¬ ren wußte, war wohl ſchon ſechzig Jahr alt, als ich mit ſeinem Sohne Schreibſtunde hatte und dadurch ins Haus kam. Seine Geſtalt war groß, lang ohne hager, breit ohne beleibt zu ſeyn, Sein Geſicht, nicht allein von den Blattern entſtellt, ſondern auch des einen Auges beraubt, ſah man die erſte Zeit nur mit Apprehenſion. Er trug auf einem kahlen Haupte immer eine ganz weiße Glockenmuͤtze, oben mit einem Bande gebunden. Seine Schlafroͤcke von Kalmank oder Damaſt, waren durchaus ſehr ſauber. Er bewohnte eine gar heitre Zimmerflucht auf gleicher Erde an der Allee, und die Reinlichkeit ſeiner Umgebung entſprach dieſer Heiterkeit. Die groͤßte Ord¬ nung ſeiner Papiere, Buͤcher, Landcharten machte einen angenehmen Eindruck. Sein Sohn, Heinrich Sebaſtian, der ſich durch verſchiedene Schriften im Kunſtfach bekannt gemacht, verſprach in ſeiner Jugend wenig. Gutmuͤthig, aber taͤppiſch, nicht roh,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/395>, abgerufen am 24.11.2024.