Thema auf, und er macht euch ein Gedicht aus dem Stegereif." -- Ich ließ es mir gefallen, wir wurden einig, und der Dritte fragte mich: ob ich mich wohl getraue, ei¬ nen recht artigen Liebesbrief in Versen aufzu¬ setzen, den ein verschämtes junges Mädchen an einen Jüngling schriebe, um ihre Nei¬ gung zu offenbaren. -- Nichts ist leichter als das, versetzte ich, wenn wir nur ein Schreibzeug hätten. -- Jener brachte seinen Taschencalender hervor, worin sich weiße Blätter in Menge befanden, und ich setzte mich auf eine Bank, zu schreiben. Sie gin¬ gen indeß auf und ab und ließen mich nicht aus den Augen. Sogleich faßte ich die Si¬ tuation in den Sinn und dachte mir, wie artig es seyn müßte, wenn irgend ein hüb¬ sches Kind mir wirklich gewogen wäre und es mir in Prosa oder in Versen entdecken wollte. Ich begann daher ohne Anstand meine Erklärung, und führte sie in einem, zwischen dem Knittelvers und Madrigal
Thema auf, und er macht euch ein Gedicht aus dem Stegereif.“ — Ich ließ es mir gefallen, wir wurden einig, und der Dritte fragte mich: ob ich mich wohl getraue, ei¬ nen recht artigen Liebesbrief in Verſen aufzu¬ ſetzen, den ein verſchaͤmtes junges Maͤdchen an einen Juͤngling ſchriebe, um ihre Nei¬ gung zu offenbaren. — Nichts iſt leichter als das, verſetzte ich, wenn wir nur ein Schreibzeug haͤtten. — Jener brachte ſeinen Taſchencalender hervor, worin ſich weiße Blaͤtter in Menge befanden, und ich ſetzte mich auf eine Bank, zu ſchreiben. Sie gin¬ gen indeß auf und ab und ließen mich nicht aus den Augen. Sogleich faßte ich die Si¬ tuation in den Sinn und dachte mir, wie artig es ſeyn muͤßte, wenn irgend ein huͤb¬ ſches Kind mir wirklich gewogen waͤre und es mir in Proſa oder in Verſen entdecken wollte. Ich begann daher ohne Anſtand meine Erklaͤrung, und fuͤhrte ſie in einem, zwiſchen dem Knittelvers und Madrigal
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0406"n="390"/>
Thema auf, und er macht euch ein Gedicht<lb/>
aus dem Stegereif.“— Ich ließ es mir<lb/>
gefallen, wir wurden einig, und der Dritte<lb/>
fragte mich: ob ich mich wohl getraue, ei¬<lb/>
nen recht artigen Liebesbrief in Verſen aufzu¬<lb/>ſetzen, den ein verſchaͤmtes junges Maͤdchen<lb/>
an einen Juͤngling ſchriebe, um ihre Nei¬<lb/>
gung zu offenbaren. — Nichts iſt leichter<lb/>
als das, verſetzte ich, wenn wir nur ein<lb/>
Schreibzeug haͤtten. — Jener brachte ſeinen<lb/>
Taſchencalender hervor, worin ſich weiße<lb/>
Blaͤtter in Menge befanden, und ich ſetzte<lb/>
mich auf eine Bank, zu ſchreiben. Sie gin¬<lb/>
gen indeß auf und ab und ließen mich nicht<lb/>
aus den Augen. Sogleich faßte ich die Si¬<lb/>
tuation in den Sinn und dachte mir, wie<lb/>
artig es ſeyn muͤßte, wenn irgend ein huͤb¬<lb/>ſches Kind mir wirklich gewogen waͤre und<lb/>
es mir in Proſa oder in Verſen entdecken<lb/>
wollte. Ich begann daher ohne Anſtand<lb/>
meine Erklaͤrung, und fuͤhrte ſie in einem,<lb/>
zwiſchen dem Knittelvers und Madrigal<lb/></p></div></body></text></TEI>
[390/0406]
Thema auf, und er macht euch ein Gedicht
aus dem Stegereif.“ — Ich ließ es mir
gefallen, wir wurden einig, und der Dritte
fragte mich: ob ich mich wohl getraue, ei¬
nen recht artigen Liebesbrief in Verſen aufzu¬
ſetzen, den ein verſchaͤmtes junges Maͤdchen
an einen Juͤngling ſchriebe, um ihre Nei¬
gung zu offenbaren. — Nichts iſt leichter
als das, verſetzte ich, wenn wir nur ein
Schreibzeug haͤtten. — Jener brachte ſeinen
Taſchencalender hervor, worin ſich weiße
Blaͤtter in Menge befanden, und ich ſetzte
mich auf eine Bank, zu ſchreiben. Sie gin¬
gen indeß auf und ab und ließen mich nicht
aus den Augen. Sogleich faßte ich die Si¬
tuation in den Sinn und dachte mir, wie
artig es ſeyn muͤßte, wenn irgend ein huͤb¬
ſches Kind mir wirklich gewogen waͤre und
es mir in Proſa oder in Verſen entdecken
wollte. Ich begann daher ohne Anſtand
meine Erklaͤrung, und fuͤhrte ſie in einem,
zwiſchen dem Knittelvers und Madrigal
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/406>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.