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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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sagte der Andre; es ist ja nur ein Katzen¬
sprung. -- "Warum nicht!" versetzte sie,
nahm ein paar leere Flaschen vom Tisch und
eilte fort. Ihre Gestalt war von der Rück¬
seite fast noch zierlicher. Das Häubchen saß
so nett auf dem kleinen Kopfe, den ein
schlanker Hals gar anmuthig mit Nacken
und Schultern verband. Alles an ihr schien
auserlesen, und man konnte der ganzen Ge¬
stalt um so ruhiger folgen, als die Aufmerk¬
samkeit nicht mehr durch die stillen treuen
Augen und den lieblichen Mund allein ange¬
zogen und gefesselt wurde. Ich machte den
Gesellen Vorwürfe, daß sie das Kind in der
Nacht allein ausschickten; sie lachten mich
aus, und ich war bald getröstet, als sie
schon wiederkam: denn der Schenkwirth
wohnte nur über die Straße. -- Setze dich
dafür auch zu uns, sagte der eine. Sie that
es, aber leider kam sie nicht neben mich.
Sie trank ein Glas auf unsre Gesundheit
und entfernte sich bald, indem sie uns rieth,

ſagte der Andre; es iſt ja nur ein Katzen¬
ſprung. — „Warum nicht!“ verſetzte ſie,
nahm ein paar leere Flaſchen vom Tiſch und
eilte fort. Ihre Geſtalt war von der Ruͤck¬
ſeite faſt noch zierlicher. Das Haͤubchen ſaß
ſo nett auf dem kleinen Kopfe, den ein
ſchlanker Hals gar anmuthig mit Nacken
und Schultern verband. Alles an ihr ſchien
auserleſen, und man konnte der ganzen Ge¬
ſtalt um ſo ruhiger folgen, als die Aufmerk¬
ſamkeit nicht mehr durch die ſtillen treuen
Augen und den lieblichen Mund allein ange¬
zogen und gefeſſelt wurde. Ich machte den
Geſellen Vorwuͤrfe, daß ſie das Kind in der
Nacht allein ausſchickten; ſie lachten mich
aus, und ich war bald getroͤſtet, als ſie
ſchon wiederkam: denn der Schenkwirth
wohnte nur uͤber die Straße. — Setze dich
dafuͤr auch zu uns, ſagte der eine. Sie that
es, aber leider kam ſie nicht neben mich.
Sie trank ein Glas auf unſre Geſundheit
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[396/0412] ſagte der Andre; es iſt ja nur ein Katzen¬ ſprung. — „Warum nicht!“ verſetzte ſie, nahm ein paar leere Flaſchen vom Tiſch und eilte fort. Ihre Geſtalt war von der Ruͤck¬ ſeite faſt noch zierlicher. Das Haͤubchen ſaß ſo nett auf dem kleinen Kopfe, den ein ſchlanker Hals gar anmuthig mit Nacken und Schultern verband. Alles an ihr ſchien auserleſen, und man konnte der ganzen Ge¬ ſtalt um ſo ruhiger folgen, als die Aufmerk¬ ſamkeit nicht mehr durch die ſtillen treuen Augen und den lieblichen Mund allein ange¬ zogen und gefeſſelt wurde. Ich machte den Geſellen Vorwuͤrfe, daß ſie das Kind in der Nacht allein ausſchickten; ſie lachten mich aus, und ich war bald getroͤſtet, als ſie ſchon wiederkam: denn der Schenkwirth wohnte nur uͤber die Straße. — Setze dich dafuͤr auch zu uns, ſagte der eine. Sie that es, aber leider kam ſie nicht neben mich. Sie trank ein Glas auf unſre Geſundheit und entfernte ſich bald, indem ſie uns rieth,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/412>, abgerufen am 24.11.2024.