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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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entspringende neue Stadt, das Wogen und
Treiben, das Abladen und Auspacken der
Waaren, erregte von den ersten Momenten
des Bewußtseyns an, eine unbezwinglich thäti¬
ge Neugierde und ein unbegränztes Verlan¬
gen nach kindischem Besitz, das der Knabe
mit wachsenden Jahren, bald auf diese bald
auf jene Weise, wie es die Kräfte seines klei¬
nen Beutels erlauben wollten, zu befriedigen
suchte. Zugleich aber bildete sich die Vorstel¬
lung von dem was die Welt alles hervor¬
bringt, was sie bedarf, und was die Bewoh¬
ner ihrer verschiedenen Theile gegen einander
auswechseln.

Diese großen, im Frühjahr und Herbst
eintretenden Epochen wurden durch seltsame
Feyerlichkeiten angekündigt, welche um desto
würdiger schienen, als sie die alte Zeit und
was von dorther noch auf uns gekommen,
lebhaft vergegenwärtigten. Am Geleitstag
war das ganze Volk auf den Beinen, dräng¬

I. 3

entſpringende neue Stadt, das Wogen und
Treiben, das Abladen und Auspacken der
Waaren, erregte von den erſten Momenten
des Bewußtſeyns an, eine unbezwinglich thaͤti¬
ge Neugierde und ein unbegraͤnztes Verlan¬
gen nach kindiſchem Beſitz, das der Knabe
mit wachſenden Jahren, bald auf dieſe bald
auf jene Weiſe, wie es die Kraͤfte ſeines klei¬
nen Beutels erlauben wollten, zu befriedigen
ſuchte. Zugleich aber bildete ſich die Vorſtel¬
lung von dem was die Welt alles hervor¬
bringt, was ſie bedarf, und was die Bewoh¬
ner ihrer verſchiedenen Theile gegen einander
auswechſeln.

Dieſe großen, im Fruͤhjahr und Herbſt
eintretenden Epochen wurden durch ſeltſame
Feyerlichkeiten angekuͤndigt, welche um deſto
wuͤrdiger ſchienen, als ſie die alte Zeit und
was von dorther noch auf uns gekommen,
lebhaft vergegenwaͤrtigten. Am Geleitstag
war das ganze Volk auf den Beinen, draͤng¬

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[33/0049] entſpringende neue Stadt, das Wogen und Treiben, das Abladen und Auspacken der Waaren, erregte von den erſten Momenten des Bewußtſeyns an, eine unbezwinglich thaͤti¬ ge Neugierde und ein unbegraͤnztes Verlan¬ gen nach kindiſchem Beſitz, das der Knabe mit wachſenden Jahren, bald auf dieſe bald auf jene Weiſe, wie es die Kraͤfte ſeines klei¬ nen Beutels erlauben wollten, zu befriedigen ſuchte. Zugleich aber bildete ſich die Vorſtel¬ lung von dem was die Welt alles hervor¬ bringt, was ſie bedarf, und was die Bewoh¬ ner ihrer verſchiedenen Theile gegen einander auswechſeln. Dieſe großen, im Fruͤhjahr und Herbſt eintretenden Epochen wurden durch ſeltſame Feyerlichkeiten angekuͤndigt, welche um deſto wuͤrdiger ſchienen, als ſie die alte Zeit und was von dorther noch auf uns gekommen, lebhaft vergegenwaͤrtigten. Am Geleitstag war das ganze Volk auf den Beinen, draͤng¬ I. 3

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/49>, abgerufen am 30.04.2024.